Islamkenner Olivier Roy zum "falschen Krieg": Kompromisslos zur Ohnmacht

Der Westen führt "den falschen Krieg", so die These des Islamkenners Olivier Roy in seinem neuen Buch. Statt auf den Iran und die Hamas, sollten wir uns auf al-Qaida konzentrieren.

Allmählich spricht sich herum: Zwischen Islam und Islamismus besteht ein grundsätzlicher Unterschied - auch wenn passionierte Schwarz-Weiß-Maler wie Ralph Giordano oder Necla Kelek gegen diese Erkenntnis ankämpfen. Während die meisten Muslime nur ihren Glauben leben wollen und mit einer säkularen Gesellschaft kein Problem haben, streben Islamisten danach, ihren Überzeugungen politisch mehr Raum zu verschaffen.

Wie sie das tun, ob mit Gewalt oder auf demokratischem Wege, das wiederum unterscheidet Terrorsektierer wie das Al-Qaida-Netz von Feld-Wald-Wiesen-Islamisten wie etwa den Muslimbrüdern. Beide schmücken sich zwar mit der Farbe des Propheten, sind sich aber durchaus nicht grün.

Der französische Islamwissenschaftler Olivier Roy möchte diese Unterschiede mit seinem neuen Buch jetzt noch stärker ins Bewusstsein rufen. Er hält das für wesentlich, will der Westen dem islamistischen Terror endlich das Wasser abgraben. Die Differenzen zwischen dem Mullah-Regime im Iran, nationalen Bewegungen wie Hamas oder Hisbollah sowie dem Dschihadisten-Syndikat al-Qaida seien so groß wie einst die zwischen der Sowjetunion, den Eurokommunisten in Westeuropa und der RAF, so Olivier Roy. Auch die hätten ihre Inspiration ja aus den gleichen - damals marxistischen - Quellen bezogen, aber unterschiedliche Ziele verfolgt.

Wenn es um den Islam gehe, neige man im Westen jedoch dazu, alles über einen Kamm zu scheren und als zusammenhängende Gefahr zu betrachten. Doch wer nicht zwischen primär politischen und primär terroristischen Bewegungen unterscheide, der beraube sich jeder Möglichkeit, gezielt zu handeln. "Die Position moralischer Kompromisslosigkeit führt zu Ohnmacht", lautet ein Kernsatz - oder zu offensichtlicher Doppelmoral, wie die Rückkehr der Bush-Regierung zum realpolitischen "Teile und herrsche" zeige.

Olivier Roy will mit ein paar Mythen aufräumen - so auch über die ursprünglichen Gründe der US-Regierung für ihren Krieg gegen den Irak. Nicht Öl oder die Sorge um Israel hätten den Ausschlag gegeben, glaubt Roy, sondern vor allem das ideologische Projekt, auf den Trümmern der Diktatur im Irak eine dauerhafte neue Ordnung für die ganze Region aufzubauen.

Auch wenn diese "Demokratisierung von oben" gescheitert sei, lebten in manchen Projekten für die "Förderung der Zivilgesellschaft" ihre Grundannahmen fort, fürchtet Roy. Indem diese ihre ganze Hoffnung auf autonome und säkularisierte Individuen setzten, ignorierten sie kollektive Kräfte wie den Islam. Dadurch entstehe zwangsläufig eine Kluft zwischen der "Zivilgesellschaft", wie sie der Westen unterstützt, und der realen Gesellschaft, so Roy in dem vielleicht spannendsten Kapitel seines Buchs.

Zwei weitere Thesen macht er stark. Erstens werde der Konflikt zwischen Säkularisten und Islamisten überbewertet. Viel wichtiger sei die wachsende Konkurrenz zwischen Sunniten und Schiiten, die der israelisch-palästinensischen Dauerkrise als bislang größtem Problem der Region bald den Rang ablaufen könnte, so seine Prognose.

Zweitens sei der "Krieg gegen den Terror" gescheitert, weil er an zu vielen, oft den falschen Fronten geführt werde, bilanziert Roy. Als Alternative fordert er Verhandlungen, Verhandlungen und noch einmal Verhandlungen - mit der Hisbollah und Syrien über Grenzfragen, mit der Hamas über das Palästinaproblem und mit dem Iran über dessen Atomambitionen. Denn all diese Akteure verfolgten in erster Linie nationalistische Ziele, die von religiöser Rhetorik überwölkt würden. Nur wenn der Westen verhandele, könne er auch das Al-Qaida-Netz isolieren.

So klar Olivier Roy die großen Linien zieht, so ermüdend ist es zuweilen, wenn er mal eben von Kaschmir nach Somalia springt, um seine These zu untermalen. Auch seine Vergleiche wirken manchmal etwas bemüht - etwa wenn er Ahmadinedschad mit Putin vergleicht, weil beide ihre Karriere in Geheimdienstzirkeln begonnen haben. Oder wenn er den Griff zur Macht der Generation Ahmadinedschad im Iran mit der zweiten Welle der chinesischen Kulturrevolution vergleicht. Trotzdem ist die Lektüre inspirierend. Schade, dass es in Deutschland in diesem Bereich nur wenige vergleichbar originelle Denker gibt.

Olivier Roy: "Der falsche Krieg. Islamisten, Terroristen und die Irrtümer des Westens". Aus dem Französischen von Ursel Schäfer. Siedler Verlag, München 2008, 188 Seiten, 19,95 Euro

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