Berührende Erzählung von Hiromi Kawakami: Die Genießerin und ihr Lehrer

Das Leben zwischen Futon und Izakaya, der japanischen Kneipe: "Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß", und Hiromi Kawakami schreibt eine gleichmäßig dahinfließende Erzählung.

Aufgepasst: Dieser Roman liest sich schlecht im Bus, im Wartezimmer oder in ähnlichen öffentlichen Räumen, denn er zwingt zu derart heftigen Gefühlsausbrüchen, dass man lieber unbeobachtet bleibt. Endlich ist einmal wieder ein herrlicher, höchst gegenwärtiger und dennoch somnambuler Roman aus dem Japanischen ins Deutsche übersetzt worden, und endlich einmal ist es weder ein Roman vom obligaten Haruki Murakami noch von Banana Yoshimoto!

Es handelt sich um "Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß" von Hiromi Kawakami, einer 1958 geborenen, in Japan sehr populären Autorin. Ähnlich wie den japanischen Autoren, die vielen deutschen Lesern inzwischen mehr als geläufig sind, geht es auch ihr um gewissermaßen vakuumierte Helden, vielmehr um eine Heldin, die noch nicht alt ist, aber auch nicht mehr ganz jung (38), einen nichtssagenden Job und keine finanziellen Sorgen hat, kaum familiäre Bindungen, die nicht mit ihrer Mutter reden kann, weil sie ihr zu nahesteht, und niemals etwas mit Freunden unternimmt.

Tsukiko bewegt sich in einem fast künstlich eng scheinenden Raum zwischen Büro, Futon, Badewanne und, zumindest am Anfang, diversen Izakayas, den japanischen Kneipen, in denen sie sich allabendlich kultiviert voll laufen lässt und in denen es, anders als in Deutschland, köstliche japanische Snacks gibt. Das ist sehr wichtig, denn Tsukiko ist eine "Genießerin", die, wenn sie "länger nicht in aller Ruhe schlemmen kann" von allen "Lebensgeistern" verlassen wird. Wir denken an die losgelösten Helden Haruki Murakamis, die in gleichsam verhexten Zwischenwelten hausen, und ihre ansteckende Lebensmittelfixierung.

Nun aber zu den Unterschieden. Während es bei vielen japanischen Autoren um allenfalls mittelalte Helden geht, begegnet Tsukiko einer Person, die sie zunächst für einen "Opa" hält, der sie aber bald aus ihrem hübschen Trott herausbringen wird: ihrem alten Japanischlehrer, inzwischen Ende sechzig. Immer wieder treffen sie sich, ohne sich verabredet zu haben, in derselben Kneipe, trinken literweise Bier und Sake. Sie wundert sich über seine kerzengerade Haltung und sein gebügeltes Oberhemd am Tresen, sein Hawaiihemd und seinen Panamahut beim ersten gemeinsamen Ausflug zu einem Markt und seine ziemlich vermüllte Wohnung beim ersten Besuch, als er ihr seine Sammlung von Eisenbahnteekännchen und Batterien zeigt, die ihm einmal gute Dienste geleistet haben und so sehr mit Erinnerungen behaftet sind, dass er sie unmöglich wegwerfen kann. Trotz aller Unternehmungen bleibt die Regel dieser seltsamen Freundschaft Distanz: Man siezt sich, jeder bezahlt seine Rechnungen selbst, und es wird nicht über Gefühle gesprochen.

Einer der schönsten Nebeneffekte in dieser gleichmäßig dahinfließenden Erzählung mit wenig dramatischen Vorkommnissen, die magischerweise umso mehr berührt, ist die Darstellung Tsukikos jenseits aller Geschlechterklischees auch gegenüber einem dreißig Jahre älteren Mann. Manchmal ziehen die beiden am selben Abend in ein drittes oder viertes Lokal, und sie lässt sich in puncto Quantität nicht lumpen. Sie isst wie ein Ferkel, empfindet Männer ihres Alters, die sie grundlos zu küssen versuchen, als "Knilche" oder bekommt sogar Lachkrämpfe. Sie hält auch gegenüber dem Lehrer an ihrer saloppen Sprache fest und steht dazu, immer eine schlechte Schülerin gewesen zu sein. Außerdem bezeichnet sie sich selbst immer wieder als trotzig und stur.

Die beiden Stellen, die zu den eingangs erwähnten Gefühlsausbrüchen führen, kann ich nicht verraten. Nur so viel: Beide haben mit Menschen zu tun, die ihre selbst gesetzten Regeln über den Haufen werfen. Und sie haben natürlich mit Liebe zu tun.

Hiromi Kawakami: "Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß". Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe und Kimiko Nakayama-Ziegler. Hanser Verlag, München 2008, 187 Seiten, 17,90 Euro

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