Nachrichten aus der Identitätsbastelstube Berlin

Mit boshaft-ironischen Seitenhieben auf das akademische Hauptstadtprekariat: In seinem neuen Roman „Kopf unter Wasser“ erweist sich André Kubiczek als gnadenlos genauer Beobachter

Der Niedergang ist unaufhaltsam, von Anfang an. Die Nüchternheit des Polizeitickers, der den Fund einer männlichen Leiche vermeldet, und der üble Kater, der Henry in den Knochen steckt, verheißen nichts Gutes. Nein, eigentlich beginnt das Misstrauen früher, schon mit dem Titel. „Liebesroman“ ist die Gattungsbezeichnung von André Kubiczeks neuem Buch, und wer die vorigen Werke des 1969 geborenen Autors kennt, rechnet zumindest mit einem doppelten Boden. Zu Recht. „Kopf unter Wasser“ ist ein boshaft-ironischer Seitenhieb auf das akademische Hauptstadtprekariat, die Geschichte einer Liebe, von ihrem Ende her erzählt, die Geschichte einer Existenzvernichtung.

Henry hat es in Berlin, dieser großen Identitätsbastelstube, vom Bauernsohn aus der Uckermark zum bekannten Kolumnisten gebracht, den „dandyesken Misanthropen“ spielend, der, „kulturgeschichtlich bewandert, mit wachem Blick durch die Großstadt flaniert“. Er schreibt ein kalkuliert provokativ gehaltenes und entsprechend erfolgreiches Buch über die Ost-West-Problematik, weil er sich vom Angebot des Verlags geschmeichelt fühlt, und beginnt ein zweites, weil ihm kein Grund einfällt, es abzulehnen. Er lernt Bettina kennen, als er für einen Artikel ihr Atelier besucht, und Birte, die die Mutter seiner Tochter wird – was sie im Übrigen ganz allein entscheidet, wie überhaupt in diesem Roman die Frauen die Bestimmerinnen sind.

Henry selbst lässt sich treiben, und in der retrospektiven Distanz der indirekten Rede, in der hier erzählt wird, gewinnen die Geschehnisse etwas Zwangsläufiges. Vor der Zukunftsangst der beiden Frauen schreckt er zurück, vor Birtes Stimme, wenn sie schrill wird, und vor Bettinas hektischer Betriebsamkeit, in der für ihn kein Platz ist. Er muss dann immer schnell raus, eine rauchen, Luft holen von dem, was um ihn herum passiert, einen Ort finden für seine Verlorenheit, die er zelebriert, bis sie sich nicht mehr ertragen lässt. Als Birte ihm verbietet, seine Tochter zu sehen, kämpft er dagegen an, zu werden wie die weinerlichen Männer in den Internetforen („abstoßend“); doch als er merkt, dass er ausgetauscht worden ist, verliert er die Kontrolle. Die leeren Gesten sind dieselben, das Bier aus der Flasche, der tiefe Zug an der Zigarette, ein Schnaps, doch die Coolness ist dahin. Sie gleichen jetzt dem Betäubungsbier seines Wendeverlierervaters vor dem abendlichen Schrottfernsehprogramm.

Es geht, wo es um Liebe geht, zugleich um Gesellschaft. Um Bürgerlichkeit und den Druck, einen Lebensentwurf haben zu müssen. Birte ist Tochter aus gutem Hause, die sich von einer unbezahlten zu einer unterbezahlten Stelle hangelt. „Irgendwas mit Medien“ will sie machen, „oder in einem Verlag“. Sie ist 28 und hat noch nie eigenes Geld verdient. „Sie könne sich überhaupt nicht vorstellen, wie das andere handhabten. Die, die ohne ihre Eltern auskommen müssten.“ Kubiczek ist ein gnadenlos genauer Beobachter, der seine Figuren auf großartige Weise in einem charakteristischen Satz auferstehen lassen kann: „,Wollt ihr Champagner?‘, fragte Henry. ‚Immer her damit‘, sagte Peter, und Cynthia sagte: ‚Da sag ich nicht Nein.‘“ Die kurze Passage genügt, um das Juristenpärchen in seiner ganzen Schrecklichkeit zu zeichnen.

Die Ironie, die der Roman über der durchaus bewegende Liebesgeschichte ausgießt, entbehrt mitunter nicht eines ordentlichen Schusses Plakativität, lässt aber den Text selbst nicht außen vor. Immer wieder kommentiert sich der Roman selbst, an einigen Stellen scheint er sich zu überlagern mit dem Buch, an dem Henry gerade schreibt.

Und am Ende, nach einem furiosen Finale, in dem die Glut all der gerauchten Zigaretten und die schrillen Frauenstimmen sich auftürmen zu einer Feuersbrunst und einer „Kakophonie Zehntausender panischer Stimmchen“, hebt er einfach ab, er transzendiert sich. Eine seltsame Leichtigkeit stellt sich ein, Elfen, die einem Computerspiel entsprungen sind und die Städte zurück in die Wälder holen wollen, ein märchenhafter Schluss: „Alles fügt sich.“

Noch einmal davongekommen. Dieses Mal.

LAVINIA MEIER-EWERT

Fotohinweis:André Kubiczek: „Kopf unter Wasser“. Piper, München 2009, 240 Seiten, 18 Euro