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OPTIMISMUS-ZWANG Barbara Ehrenreichs „Smile Or Die“ und ihre Kritik der US-Gesellschaft

Ehrenreich hat bis zu einem gewissen Grad Humor

VON PETER UNFRIED

Das positive Denken oder Sprechen ist ja nun in Deutschland nicht gerade Mainstream. Wie geht‘s? Oh, Gott. Fragen Sie nicht. Bestensfalls mal ein: Muss ja. Und dass man hier die Gefahren vor lauter Chancen nicht sähe, kann man beim besten Willen nicht behaupten. So hat manch verkniffen-naiver Deutscher (zum Beispiel ich) als Tourist an Amerika immer angenehm gefunden: Das Lächeln, den Optimismus in jeder offiziellen Lebenslage. Perdu, wenn man Barbara Ehrenreichs neues Buch „Smile or Die“ gelesen hat.

Ehrenreich, 69, war Vorsitzende einer Sozialistischen Partei, lehrte in Berkeley, recherchierte Wallraffmäßig für ihren Goodseller „Arbeit poor“ (2001) über die Lage auf dem US-amerikanischen Weniglohn-Arbeitsmarkt. Sie schuftete dafür als Zimmermädchen, Kellnerin, Putzfrau und bei Wal-Mart. Für „Qualifiziert und arbeitslos“ mischte sie sich unter arbeitslose Anzugträger; ehemalige Führungskräfte von Corporate America, die in Seminaren und Networking-Veranstaltungen einen Weg zurück suchten – meist vergeblich. Kurz gesagt: Ehrenreich ist immer da, wo Menschen aus dem amerikanischen Traum erwachen und eine Alptraum-Realität vorfinden. In „Smile Or Die“ dekonstruiert sie nun das positive Denken.

Positives Denken ist für Ehrenreich eine kognitive Kategorie, eine bewußte Erwartungshaltung, die US-Amerikaner sich anzutrainieren haben, letztlich eine bewußte Ausblendung des Negativen und eine Selbsttäuschung. Es steht auf der Grundlage, dass die USA laut patriotischem Selbstverständnis das beste und tollste und demokratischste und reichste Land sind. Was aber nicht chauvinistisch oder nationalistisch ist, wie bei den anderen, sondern eine Art geogenetische Tatsache, die auch humanitäre Verpflichtung ist, sei es in Vietnam, Afghanistan oder im Irak.

„Positiv“ sei normativ in den USA. Letztlich ist das positive Denken für Ehrenreich eine Ideologie, um den ungebändigten Kapitalismus zu stützen und soziale Ungerechtigkeiten zu individuellem Versagen zu verklären. Der Optimismus-Zwang als zeitgenössische Variante oder Fortsetzung des Calvinismus: Permanente innere Selbstprüfung – nur jetzt eben, ob man auch immer schön optimistisch war. Wenn nicht, setzt es Strafe. „Negative“ Menschen werden ausgegrenzt als Asoziale. Ausgebeutete, Entlassene, Erkrankte: Wer positiv denkt, kriegt alles besser hin.

Wer nicht positiv denkt, ist selbst schuld an seinem Unglück, weil er es dadurch hervorruft. Die Weiterbildung in positivem Denken ist stets verknüpft mit der Optimierung der Chancen auf dem Arbeitskraft. Ehrenreichs Spezialgebiet ist dieser Arbeitsmarkt, hier arbeitet sie überzeugend heraus, wie das „Überarbeitetsein“ als Statussymbol und Tugend durchgesetzt wurde und Motivationstrainer und andere selbständig arbeitende Knechte das positive Denken als Industrie entdeckt haben. Wie sie die Entlassungen von Angestellten als „Wandel“, „Umstruktuierung“ und „Change Management“ verbrämen und den Leuten solange das Gehirn waschen, bis die glauben, dass ihr existenzgefährdender Arbeitsplatzverlust für sie ein Segen sei. Am Ende, sagt Ehrenreich, sei die Gehirnwäsche so erfolgreich gewesen, dass Amerikas Angestellte das positive Denken als Ersatz für vormaligen Wohlstand akzeptierten, ohne gegen die Umverteilung nach oben und kontinuierliche Reduzierung von echten Arbeitsplätzen zu rebellieren. Die Finanzkrise des 21. Jahrhunderts ist nach Ehrenreichs Deutung „aus dem Ruder gelaufenes positives Denken“, also der unbedingte Glaube an den Markt unter kompletter Ausblendung der Risiken.

Die beste Passage des Buches ist die Schilderung von Ehrenreichs eigener Brustkrebserkrankung. Sie trifft auf ein Krankenmilieu, in dem Frauen gelernt und akzeptiert haben, den Krebs als eine Art Prüfung oder gar Geschenk zu betrachten. Die Losung lautet: Nur wer positiv mit seinem Krebs umgeht, wird überleben. Der Griesgram und Defätist stirbt – und das zurecht. Ehrenreich plädiert nicht für eine komplette Absage an das positive Denken – auch wenn sie ihren Fellow Americans einen schönen Schreck einjagt, indem sie es als sozialistisches und totalitäres Instrument entlarvt.

Sie plädiert auch nicht für das negative Denken, sondern dafür, das kritische Denken nicht mehr auszublenden und die Fehler und Probleme realistisch zu erwarten, um dadurch zu einem positiven Ergebnis zu kommen. Das Buch endet mit einem unausgesprochenen Amen.

Zur Sicherheit sollte man erwähnen, dass Ehrenreich bis zu einem gewissen Grad Humor hat und ihn auch ausspielt. Das zeigt, dass man sich auch bei diesem Typus 20.Jahrhundert-Sozialistin vor Stereotypisierung hüten muss und stärkt das Buch. Im Gegensatz zu seinen Redundanzen. Die sind zwar grundsätzlich schwer vermeidbar, aber sehr wohl in dem hier vorliegenden Ausmaß. Ein längerer Essay hätte es auch getan. Aber vielleicht ist das auch zu negativ und zu unkommerziell gedacht.

■ Barbara Ehrenreich: „Smile Or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt“. Dt. v. Steckhan/Gockel. Kunstmann, München 2010, 254 Seiten, 19,90 Euro