Die Nonkonformistin

DEBATTENKULTUR Tabulos und streitbar war die Publizistin Katharina Rutschky. „Im Gegenteil“ heißt eine Sammlung von Texten, deren Wiederlektüre lohnt

Etwas Heikles hat dieser Gestus, der da von Älteren gern mal vorgetragen wird: Früher war doch manches besser. Und wenn man sich selbst erwischt, wider alle Vernunft, bei dieser Aufwallung? Das darf sein, wenigstens manchmal. Sie selbst, von der gleich die Rede ist, hatte diese Allüre nicht: Was gestern war, pflegte Katharina Rutschky zu sagen, ist passé.

Die Rutschky, Liebhaberin von Hunden gerade in der Stadt, legendär nicht nur in ihrer Nachbarschaft für ihre Gassispaziergänge mit, beispielsweise, Pelo oder Kupfer, bemerkte über Kinder einmal, sie seien doch ein recht guter Hundeersatz. Die Pointe ließe sich fortsetzen, programmatisch sehr im Sinne eines Buches, das einige ihrer Aufsätze in einer Art Greatest-Hits-Kollektion versammelt und dessen Titel lautet: „Im Gegenteil“ – zu landläufigen Meinungen, zu den Befindlichkeiten der Allgemeinheit, zum Mainstream. Rutschky, Anfang 2010 im noch jungen Alter von 68 Jahren verstorben, war eine der brillantesten Publizistinnen seit den sechziger Jahren und niemals unumstritten.

Gut, das! Sie hat sich über die Jahre mit etlichen Themen quergestellt – hier in der taz mit einer Fülle von Texten, die sich dem Feminismus, der modernen Frau, der Sexualität, dem Thema Benimm und Manieren oder, im Streitgespräch mit dem Historiker Götz Aly, dem Komplex 68 widmeten. Sie war gerade in diesem Konflikt von unglaublicher Leidenschaft, eine strikte Verteidigerin ihrer Generation, die sich zu Recht sicher wissen kann, den stärker werdenden Freisinn im Leben der Bundesrepublik mit befördert zu haben. Rutschky war insofern kein wisperndes Stimmchen, sondern eine Dame, die selbstverständlich ihren Platz im öffentlichen Diskursgeschäft zu halten wusste.

Am stärksten wusste sie dies zum Thema Feminismus zu bewerkstelligen – und es ist keine schlechte Idee gewesen, „Im Gegenteil“ mit „Politisch unkorrekte Ansichten über Frauen“ zu untertiteln. Das gesamte Büchlein enthält ein Kompendium der passioniertesten Aufsätze zum Feminismus. Rutschky, die über eine Materialsammlung zur Schwarzen Pädagogik in den mittleren siebziger Jahren zum intellektuellen Star wurde, hat sich mit so gut wie allen deutschen Akteurinnen der Frauenbewegung angelegt.

Hat die Kochstörungen von Frauen ins Forschungsfeld geschoben, hat die Neigung unserer Mütter, lieber mit weniger als zu viel Salz und Pfeffer zu würzen, auf deren Antriebsarmut zurückgeführt; hat Alice Schwarzer auf zwiespältigste Art gelobt und in Sachen sexueller Missbrauch es sich ohnehin mit der halben Therapeutenszene verdorben. Das alles liest sich heute noch frisch und hat streckenweise ziemliche Eleganz.

Die Literaturkritikerin Ina Hartwig hat diesem Buch ein sehr schönes Vorwort gegeben. Der Umschlag wird von einem Foto der Rutschky illustriert, wie es erinnernder, netter nicht sein könnte: Sie, die den Streit genoss, fein lachend. So darf ich mir erlauben zu sagen: Früher, mit ihr, war es einfach besser. JAN FEDDERSEN

Katharina Rutschky: „Im Gegenteil. Politisch unkorrekte Ansichten über Frauen“. Wagenbach Verlag, Berlin 2011, 144 Seiten, 10,90 Euro