Radikale Haarpracht

STILBEWUSSTSEIN Mit „Style Politics“ untersucht Philipp Dorestal Stile und Moden schwarzer Amerikaner in den Jahrzehnten unmittelbar vor und nach der Bürgerrechtsbewegung

Anzüge lösten einst Aufstände aus. 1943 war das, als Träger von Zoot Suits durch US-Innenstädte gejagt und verprügelt wurden. Die „zoot suit riots“ waren benannt nach den extra weiten, knallbunten Anzügen junger, oftmals Jazz-affiner Afroamerikaner. Durch den großzügigen Schnitt konnten sie ihre Tanzschritte leichter vollführen, setzten der Zweckmäßigkeit von US-Alltagskleidung Glamour entgegen. Mit diesem „dressing up“ machten sich die aus einfachen Verhältnissen stammenden Zoot Suiter auf doppelte Weise verdächtig. Zum einen, weil sie mit ihrem betont effeminierten Bekleidungsstil die Ästhetik der als männlich kodierten, eng geschnittenen dunklen Anzüge beleidigten. Zum anderen, weil die Zurschaustellung von Style in den USA während des Zweiten Weltkriegs als unpatriotisch verpönt war.

Die Benachteiligung der Schwarzen im Alltag blieb trotz des Arbeitskräftemangels bestehen. Sie wurden während des Zweiten Weltkriegs im Kampf gegen Nazi-Deutschland nicht in allen Waffengattungen der Armee eingesetzt. Auch in der heimischen Rüstungsindustrie war ihre Anwesenheit zum Teil unerwünscht. Aufbrezeln setzte der Opferrolle Würde entgegen. Nach Kriegsende kehrten sich die Verhältnisse um: Schwarze G.I.s legten ihre Uniformen nicht ab, um zuhause offensiv zu zeigen, dass sie in der US-Army gegen Hitler gekämpft hatten. Auch dafür setzte es Prügel, vor allem im segregierten Süden des Landes.

Philipp Dorestal dröselt solche und andere Demarkationslinien in seinem Buch „Style Politics“ fein säuberlich auf und unterfüttert die historischen Fakten mit einem theoretischen, auf neuester Sekundärliteratur beruhendem Handapparat. Sein Werk möchte er als Beitrag zu einer Kulturgeschichte des Politischen verstanden wissen. Damit ist sogleich ersichtlich, dass „Style Politics“ die Trennung zwischen „weicher“ Kultur und „harter“ Politik nicht gelten lässt. Im Gegenteil, zwischen schönem Schein und sozialer Benachteiligung zieht der Autor einen Konnex. Das zeitliche Ende seiner Untersuchung, 1975, markiert den Zeitpunkt der formalen Gleichstellung der Schwarzen. Ökonomisch blieben sie freilich auch danach benachteiligt.

Für sein Buch hat Dorestal in US-Archiven geforscht, Interviews mit Aktivisten aus der Bürgerrechtsbewegung geführt und ihre Aussagen mit der theoretischen Literatur verglichen. „Style ist ein soziales Verhältnis“, schickt Dorestal seiner Studie voraus, zentral für die Inszenierung schwarzer Identitäten und darüber hinaus ein Abbild gesellschaftlicher Prozesse. Über Style artikulieren sich Kategorien wie Race, Class und Gender. Dorestal führt etwa den Rock ’n’ Roller Little Richard an, dessen flamboyantes Äußeres der Drag-Queen-Kultur der vierziger Jahre entlehnt war und schwarze wie weiße Teenager außer Rand und Band geraten ließ.

Dorestal verortet die gesellschaftliche Dimension von Style irgendwo zwischen Dingwelt und Bewusstsein. Von Style lässt sich auf Machtverhältnisse schließen. Nur seltsamerweise, so arbeitet Dorestal heraus, klafft in der Forschung darüber eine Leerstelle, es wird geflissentlich übersehen, dass Style stets auch eine performative Praxis ist.

Mit dem Wissen um HipHop-Vorstellungswelten und der imagebewussten, rasendem Wandel unterzogenen Popkultur von heute wirkt die Ästhetik der schwarzen Mode selbstverständlich. Bis sie ihrerseits zu einem Vorbild für rebellische Weiße wurde, mussten viele Kämpfe ausgefochten werden. Dorestal zeigt auf, wie diese Ästhetik des „Black is beautiful“ erkämpft wurde. Und darüber hinaus, wie Schwarze untereinander erbittert über ihr Stilbewusstsein debattiert haben. So schreiben schwarze Autoren noch in Zeitungsartikeln Ende der sechziger Jahre, dass Afrolocken bei Frauen gegen das weibliche Schönheitsideal geglätteter Haare verstoßen würden. JULIAN WEBER

Philipp Dorestal: „Style Politics. Mode, Geschlecht und Schwarzsein in den USA, 1943–1975“. Transcript Verlag, Bielefeld, 2012, 369 Seiten, 32,80 Euro