Warten auf den Beschneider

EXPEDITION Der britische Ethnologe Nigel Barley hat über seinen Versuch, ein seltenes Beschneidungsritual zu dokumentieren, ein umwerfend komisches Buch geschrieben

Der Ethnologe hat ein Leopardenfellimitat aus England mitgebracht

VON KATHARINA GRANZIN

Dass die Wissenschaft auch ihre komischen bis absurden Seiten hat, würden die allermeisten Wissenschaftler nie zugeben. Der Anthropologe Nigel Barley ist da als rühmliche Ausnahme einzuordnen. Barley, 1947 geboren, lebte in den siebziger Jahren zweimal für längere Zeit beim Volk der Dowayo in Kamerun und schrieb darüber nicht nur eine wissenschaftliche Arbeit, sondern auch zwei Bücher, in denen er die Mühsal und die Fährnisse, denen er als Forscher ausgesetzt war, unverzagt ins Komische wendet. „Die Raupenplage“ erstmals 1989 auf Deutsch erschienen, ist jetzt in einer Neuausgabe wieder lieferbar. Es ist der zweite von Barleys Erfahrungsberichten, und er tut darin nichts weniger, als schlüssig darzulegen, dass es im Grunde unmöglich ist, Ethnologie zu betreiben.

Zu seinem zweiten Forschungsaufenthalt war Barley aufgebrochen, um ein seltenes Beschneidungsritual mitzuerleben und zu dokumentieren, das die Dowayo nur alle paar Jahre einmal durchführen. Es handelt sich um ein extrem schmerzhaftes Ritual, das an Jungen im Pubertätsalter durchgeführt wird und bei dem nicht nur die Vorhaut entfernt, sondern der Penis in seiner ganzen Länge abgeschält wird. Anschließend müssen die frisch Beschnittenen monatelang allein im Busch leben.

Der Ethnologe hat sich gut vorbereitet, sogar ein Leopardenfellimitat aus England mitgebracht – Leopardenfell gehört zur rituellen Bekleidung der Beschneidungsaspiranten, doch ist es in Kamerun rar geworden –, um es einem der Jungen schenken zu können. Der Kontakt gelingt. Doch danach passiert weiter nichts. Während Barley auf Anzeichen dafür wartet, dass das Ritual irgendwann stattfinden wird, lernt er Körbe flechten und Gefäße töpfern und macht sich nebenbei Gedanken über Beschneidungsrituale im Besonderen und Allgemeinen. Aus der Überlegung heraus, dass Beschneidungen, ob an Männern oder Frauen, möglicherweise zum Ziel haben könnten, genau jene Körperteile zu eliminieren, die zu sehr dem jeweils anderen Geschlecht zugeordnet werden können, entwickelt er die Theorie, dass, als „weiblichster“ Teil des männlichen Körpers, eigentlich an erster Stelle die männlichen Brustwarzen amputiert gehörten. Als ihm zu Ohren kommt, dass die Männer eines in der Nähe lebenden Volkes angeblich keine Brustwarzen haben, gerät er in helle Aufregung und setzt alles daran, diese Leute ausfindig zu machen, um seine Theorie zu untermauern.

Am Ende wird sich nicht nur die Brustwarzentheorie als Schimäre entpuppen, sondern sogar das Penisschälritual, das den Anlass für die Reise gegeben hatte, überhaupt nicht stattgefunden haben. Stattdessen reist der Autor unverrichteter Dinge und in Begleitung eines unhandlich großen Tongefäßes zurück nach England, während irgendwo in Kamerun ein windiger Geschäftsmann jene Gefäße, die Barley während seiner Zeit im Dorf getöpfert hat, den Touristen als originäres Dowayo-Kunsthandwerk verkauft. Doch aus der Tatsache, dass Nigel Barley anschließend weiter akademisch tätig war und viele Jahre lang eine Stelle als Kustos am British Museum bekleidete, ist wohl zu schließen, dass das Ausbleiben sensationeller Forschungsergebnisse seine Karriere nicht behinderte. Wahrscheinlich hat Barley, ganz im Gegenteil, mit seinem humoristischen Blick auf die Wissenschaft mehr für die Popularität der Ethnologie getan als irgendjemand vor ihm.

„Die Raupenplage“ ist in alle Richtungen zu lesen. Alle Nicht-Ethnologen können sich dabei ungehemmt amüsieren. Für Ethnologen aber muss ein Buch wie dieses ein unschätzbarer Trost sein. Es ist eines, das man auf keinen Fall missen wollte, würde es einen jemals verschlagen auf eine einsame Insel oder in eine skorpionverseuchte Buschhütte. Ethnologische Feldforschung, das macht Barley deutlich, ist nichts für schwache Gemüter.

Nigel Barley: „Die Raupenplage. Von einem, der auszog, Ethnologie zu betreiben“. Aus dem Engl. v. Ulrich Enderwitz. Unionsverlag, Zürich 2012, 217 S., 10,95 Euro