Leichte Beute, schnelles Geld

EIGENTUM Der englische Wissenschaftsjournalist Fred Pearce hat den globalen Kampf um den Boden untersucht und zeigt: Die neue Landnahme stellt die Ausbeutung früherer Kolonialzeiten in den Schatten

Die Landverkäufe seien meist Deals zwischen Regierung und Investor

Das neue Buch von Fred Pearce „Land Grabbing – der globale Kampf um Grund und Boden“ ist nichts für schwache Nerven. Was der englische Wissenschaftsjournalist beschreibt, ist ein wahrer Albtraum und für viele Menschen rund um den Globus bereits traurige Realität.

Finanzstarke Investoren – internationale Firmengruppen, Scheichs vom Golf, chinesische Staatskonzerne, Spekulanten von der Wallstreet, afrikanische Warlords, russische Oligarchen, indische Mikrochip-Milliardäre, Missionare aus dem Mittleren Westen oder Hedgefonds-Manager aus der Londoner City – sind in vielen Ländern der Welt auf Einkaufstour. Seit auf dem Immobilienmarkt nichts mehr zu holen sei, ist Land ein begehrtes Kaufobjekt, so Pearce. „Flächen von der Größe kleiner Staaten wechseln zum Spottpreis den Besitzer.“ Pearce glaubt, dass der „Landrausch“ langfristig größeren Schaden anrichten wird als der Klimawandel.

Die Faktenlage ist schwer zu ermitteln. Nach Zahlen der Weltbank von 2010 sind weltweit 47 Millionen Hektar aufgekauft. Die Hilfsorganisation Oxfam schätzt, dass sich ausländische Investoren bereits 227 Millionen Hektar angeeignet haben. Warum? „Ackerland ist gegenwärtig eine der besten Kapitalanlagen“, zitiert Pearce den Hedgefonds-Milliardär George Soros, und von einem vietnamesischen Agrarunternehmer, der in Laos und Kambodscha auf Zehntausende Hektar Land Kautschuk pflanzt, bekommt er zu hören: „Natürliche Ressourcen sind begrenzt. Ich muss sie mir aneignen, bevor sie weg sind.“

Fred Pearce recherchierte ein Jahr lang in 20 Ländern weltweit und fand überall das Gleiche: In Afrika, Lateinamerika, Südostasien und in der Ukraine traf er Kleinbauern, deren Land in hochtechnisierte Agrofarmen verwandelt wurde; mit wenigen, schlecht bezahlten Arbeitsplätzen für Einheimische. Busch- und Waldgebiete, aus denen sich die Bewohner versorgen, werden für riesige Monokulturen gerodet, auf denen Pflanzen für Agrosprit und den Nahrungsmittelexport angebaut werden. Dabei entstehen nicht nur schwere Umweltschäden. Versiegende Flüsse machen Fischer arbeitslos und gigantische Umsiedlungsaktionen Tausende von Menschen heimatlos.

Die größten Landnahmen, so Pearce, fänden „auf den weiten Ebenen Afrikas“ statt – etwa in Gambella, in der ärmsten Provinz Äthiopiens im äußersten Südwesten des Landes, wo zwei der reichsten Männer der Welt investieren: Scheich Mohammed Hussein Ali al-Amoudi könne dort 60 Jahre lang 10.000 Hektar für seine Firma Saudi Star beackern. Der indische Agrarunternehmer Karmjeet Sekhon habe für seine Gesellschaft Karuturi Global einen 50-jährigen Pachtvertrag für 100.000 Hektar in der Tasche – zum Schnäppchenpreis von einem Dollar Pachtzins pro Jahr und Hektar. Weitere 200.000 Hektar habe ihm die Regierung in Aussicht gestellt.

Blindem Fortschrittsglauben folgend, setzten die Regierungschefs Afrikas auf industrialisierte Landwirtschaft. Die Landverkäufe, so Pearce, seien meist Deals zwischen Regierung und Investor. Die örtliche Bevölkerung werde häufig mit viel zu wenig Geld abgespeist und mit Fehlinformationen und Drohungen in Schach gehalten. Traditionelles Recht ohne schriftliche Verträge machten Land zur leichten Beute.

Fred Pearce, der gern den großen Bogen spannt, stellt auch in seinem neuen Buch die richtigen Zusammenhänge her – etwa die zwischen Landgrabbing und Börsentransaktionen mit Nahrungsmitteln. Dazu wechselt er von den Schauplätzen der Landnahmen zu den Schauplätzen des schnellen Geldes. An der Chicago Board of Trade, wo 1851 das erste Termingeschäft mit Nahrungsmitteln zur Preisabsicherung für die amerikanischen Farmer stattfand, wird heute zu Spekulationszwecken mit Nahrungsmitteln gezockt. Unternehmen wie Goldman Sachs und viele andere erzeugten, so Pearce, eine „Nahrungsmittelblase“, die zum ersten Mal 2007 in Mexiko mit steigenden Lebensmittelpreisen und Massenprotesten deutlich wurde und drei Jahre später in Ägypten zu überteuerten Brotpreisen führte – der Beginn des Arabischen Frühlings. Es sind diese Zusammenhänge, die das Buch wirklich lesenswert machen. AGNES STEINBAUER

Fred Pearce: „Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden“. Aus dem Engl. v. G. Gockel u. a. Verlag Antje Kunstmann, München 2012, 397 S., 22,95 Euro