F wie Freundschaft

BUCHSTABEN Ein Abc der Freundschaft unter queeren Umständen

VON MARTIN REICHERT

Aufmerksamkeit, gegenseitige. Liegt ein blutender Mann am Boden, im Toilettenraum eines schwulen Klubs. Ein erschrockener Mitgast sucht Papier, klopft an die Kabine, in der hörbar zwei Liebende tätig sind. Er fragt nach Papier, um den Verletzten versorgen zu können. Eine Hand reicht zwei einzelne Blatt Toilettenpapier über die Kabinentür. Häufig noch ausbaubar.

Beste Freunde. Sagt der eine Freund zum anderen: „Du, ich habe gerade irgendwie Angst, abzurutschen.“ Sagt der andere: „Wieso, du bist doch schon ganz unten?“, und bestellt zwei Gläser Champagner. Unabdingbar.

Crystal Meth. Der Konsum verhilft unkompliziert zu neuen Freunden, an die man sich hinterher nicht mehr erinnern kann (vgl. Aufmerksamkeit, gegenseitige). Verzichtbar.

Dancing Queen. Lied der schwedischen Popgruppe ABBA aus dem Jahre 1976. Wie „I will Survive“ von Gloria Gaynor eine der Konsenshymnen der Homosexuellen, bei denen alle gemeinsam auf die Tanzfläche kommen. Auch Heteros. Zuckersüßes Antidepressivum.

Ersatzfamilie. Kombination aus PartnerIn und ausgesprochen gepflegtem Freundeskreis, der die traditionelle Kleinfamilie in puncto Zuverlässigkeit häufig abhängt. Variable Stabilität.

Fuckbuddy. Freund, mit dem man sich in regelmäßigen, zwanglosen Abständen zum Sex verabredet weil es einfach gut passt. Stellt ansonsten keine Ansprüche. Praktisch.

Gaby. Historische Figur aus der Unterdrückungszeit – häufig übergewichtig und bebrillt, suchte sie aus Selbsthass und Angst vor dem anderen Geschlecht die Nähe von Schwulen, um sich von ihnen schlecht behandeln zu lassen (im Angloamerikanischen: Fag Hag). Weitestgehend ausgestorben.

Heteros. Vor 20, 30 Jahren häufig schwer erreichbar, weil am anderen Ufer. Man konnte meist nur winken – und kaum jemand winkte zurück. Heute gibt es zahlreiche Brücken und Fähren. Und Smartphones, man kann einfach anrufen und sich auf einen Kaffee treffen. Suchen oft Rat in sexuellen Fragen, erholen sich vom Druck reproduktiver Verhältnisse. Wissen oft nicht, was „Heteronormativität“ ist, und verwechseln Poppers schon mal mit einem Schnapsfläschchen (vgl. Aufmerksamkeit, gegenseitige). Fortschritt.

Iran. Kein gutes Reiseland. Vorerst stornieren.

Jet. Arbeitsplatz der „Saftschubsen“; in Wahrheit ist Tomatensaft der Treibstoff der Globalisierung. Homos sind Reiseweltmeister – und kommen garantiert auch mal zu Besuch. Rollkoffer-Tribe.

Knutschen. Können auch Homosexuelle nicht immer gut. Leider, leider.

Liebe. Totalitäres Glücksversprechen, das offiziell mit Monogamie und Reproduktion verdübelt ist und zugleich unter Irrungen und Wirrungen des Kapitalismus zerrieben zu werden droht. Ein abendfüllendes Thema für alle Beteiligten. Doch lieber Freundschaft? Baustelle.

Madonna. Früher abendfüllendes Thema bei schwulen Veranstaltungen, wurde u. a. von Lady Gaga vom Thron gestoßen (vgl. Beste Freunde, weiblich). Glamourös.

Nassrasur. Heterosexuelle Hygienepraxis im Gesichtsbereich, die bei homosexuellen Männern in der Regel nur im Bereich des Skrotums eingesetzt wird. Bartzwang.

Oralverkehr. Nicht penetrative Sexualpraktik. Findet in Form des Blow Jobs manchmal auch zwischen Homosexuellen und Heteros statt, ohne dass jemand ein Wort darüber verlieren würde. Entspannung.

Polizei. Früher sah man sie nur, wenn mal wieder Razzia war. Heute auch Freund & Helfer, zum Beispiel bei Gay Prides, die von Rechtsradikalen und orthodoxen Gläubigen angegriffen werden. Beschützer.

Quarktasche. Frau, pejorativ; separatistischer Jargon aus der Unterdrückungszeit (vgl. Gaby). Überkommene Hasssprache.

Russland. Freunde in Not, die ausnahmsweise mit uneingeschränkter Solidarität rechnen können. Hier weder Pink Washing noch Islamophobie, kein Rassismus und Neokolonialismus, kein Homonationalismus und Eurozentrismus & Neoindividualliberalismus, sondern Oligarchie und böser Putin, Rechtsradikale und Orthodoxe. Menschenrechte, universelle.

Sex. Sitzen zwei mittelalte schwule Freunde zusammen und trinken ein Hefeweizen. Sagt der eine: „Sag mal, hast du schon mal darüber nachgedacht, mit wie vielen Männern du in deinem Leben schon Sex hattest? Sagt der andere: „Wart mal, ich brauch meinen Taschenrechner.“ Hobby.

Tom Boy. Burschikose Lesbe, mit der man Pferde stehlen kann und die auch weiß, wie man eine Bierflasche mit dem Feuerzeug aufbekommt. Äquivalent zur Tunte, die mit der flachen Hand ein Hemd bügeln kann. Das beste an diesen Klischees ist: Es gibt diese Menschen wirklich – und es ist toll, dass es sie gibt, weil das Leben mit geschlossenen Bierflaschen und ungebügelten Hemden einfach langweiliger wäre. Queer.

Unglück. Hatten früher die Homos gepachtet. Gehört inzwischen allen. Freiheit, ambivalente.

Vertrauen. Die offene Beziehung gehört zu den Errungenschaften der Homosexuellen. PartnerInnen können miteinander verhandeln, in welchem Rahmen außerhäusiger Geschlechtsverkehr möglich ist – was bei Heteros seit jeher großes Interesse findet. Role Model

Weihnachten. Festivität mit Baum, fettigem Essen und sehr viel Alkohol, anlässlich dessen niemand alleingelassen werden darf. Es gilt als Ehrensache, dass Freunde in dieser Hinsicht noch vor der Kernfamilie auf Rücksichtnahme zählen können. (vgl. Ersatzfamilie). Geschenkt.

Xenophobie. Gibt es selbstverständlich auch bei Homosexuellen. Alle Schwarzen haben große Pimmel, alle Asiaten sind passiv, und der Muslim an sich ist ein frauenverachtender Unterdrücker. Dummheit, universelle.

Yeah. Richtig ist, dass sehr viele Homosexuelle genau so leben, wie man es ihnen vorwirft. Sie feiern gerne, sie sind gesellige GesellInnen – und immer mehr Heten machen mit. So gelten Gay-Bars längst als Geheimtipp in puncto Abschleppen: Mann und Frau fühlen sich in der manchmal etwas verunsichernden „Fremde“ automatisch stärker zueinander hingezogen („Was machst du so hier?“). Nts-Nts-Nts.

Zärtlichkeit. Seufz. Knappe Ware.