Kommentar: Heuchelei der Privatisierer

Mindestens so bedenklich wie das Streikverbot für die Lokführer durch das Nürnberger Arbeitsgericht sind die Reaktionen darauf.

Kein Bahnstreik in der Urlaubszeit, so hat das Nürnberger Arbeitsgericht entschieden. Dieses Urteil ist skandalös. Das Streikrecht ist ein zentrales Element unseres Wirtschafts- und Sozialsystems und aus gutem Grund in der Verfassung garantiert. Verspätungen bei einer Urlaubsreise oder Produktionsverzögerungen bei Unternehmen müssen dafür in Kauf genommen werden.

Beim Nürnberger Fehlurteil besteht die berechtigte Hoffnung, dass es in der nächsten Instanz korrigiert wird. Mindestens so bedenklich wie der Richterspruch sind jedoch die Reaktionen darauf. Nicht nur aus der Industrie gibt es Beifall. Auch CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos hat das Streikverbot offen begrüßt, weil es "Schäden für die Wirtschaft" verhindere. Das offenbart nicht nur ein merkwürdiges Verständnis von Tarifverhandlungen - die Idee des Streiks beruht ja gerade darauf, durch Arbeitsniederlegung wirtschaftlichen Druck aufzubauen. Es zeugt auch von einer doppelzüngigen Argumentation.

Von wirtschaftsliberaler Seite wurde die Privatisierung wichtiger öffentlicher Betriebe wie Post oder Bahn stets damit begründet, dass es sich dabei nicht um hoheitliche Aufgaben handele; statt vom Staat könnten sie darum ebenso gut von Privatunternehmen übernommen werden. Doch wenn die Mitarbeiter der ehemaligen Staatsbetriebe dann - wie ihre Kollegen in anderen Unternehmen auch - zum Mittel des Streiks greifen, erinnert sich die Politik auf einmal wieder an die übergeordnete Bedeutung dieser Branchen und fordert ein Streikverbot.

Diese Heuchelei ist unerträglich. Es ist schön, wenn sich beim Wirtschaftsminister plötzlich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Bahn kein Unternehmen ist wie jedes andere. Sondern ein Verkehrsträger, auf den das ganze Land angewiesen ist. Die richtige Konsequenz daraus ist allerdings nicht die Forderung nach einem Streikverbot. Sondern eine schnelle Absage des geplanten Ausverkaufs der Bahn an Privatinvestoren. Man muss ja nicht gleich wieder zur Beamtenbahn zurückkehren. Aber bei zentralen öffentlichen Aufgaben darf der Staat seinen Einfluss auf Geschäfts- und Tarifpolitik nicht aufgeben.

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Jahrgang 1971, war bis September 2022 Korrespondent für Wirtschaft und Umwelt im Parlamentsbüro der taz. Er hat in Göttingen und Berkeley Biologie, Politik und Englisch studiert, sich dabei umweltpolitisch und globalisierungskritisch engagiert und später bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen in Kassel volontiert.   Für seine Aufdeckung der Rechenfehler von Lungenarzt Dr. Dieter Köhler wurde er 2019 vom Medium Magazin als Journalist des Jahres in der Kategorie Wissenschaft ausgezeichnet. Zudem erhielt er 2019 den Umwelt-Medienpreis der DUH in der Kategorie Print.

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