Debatte: Die ewige Koalition

Die Bilanz der großen Koalition nach zwei Jahren ist gemischt. Wer deshalb ganz doll enttäuscht ist, muss sich fragen lassen, was er von dieser Regierung eigentlich erwartet hatte.

Große Koalitionen haben stets etwas Geschäftsmäßiges an sich. Der große Wurf ist nicht ihre Sache, die ausladende Geste gehört nicht zu ihrem Stilrepertoire, der Wille, Geschichte zu schreiben, nicht zu ihrem Programm. Große Koalitionen brauchen kein Projekt, um zu funktionieren. Sie sind aus der Not geboren, eigentlich Ausnahmen im demokratischen Alltag.

Ihr Zweck ist es, möglichst ohne viel Reibungsverluste und ohne den berüchtigten parteipolitischen Kleinkrieg im Vermittlungsausschuss umzusetzen, was in der gesellschaftlichen Mitte Konsens ist. Was nicht mehrheitsfähig ist, bleibt bei den kleineren Parteien beheimatet: das Marktradikale bei der FDP, das konsequent Ökologische bei den Grünen, das entschieden Soziale bei der Linken.

Die große Koalition dämpft die politischen Leidenschaften - und es wäre merkwürdig, wenn das anders wäre. Denn nach innen brauchen zwei fast gleich starke Partner den genau austarierten Kompromiss - wenn nur eine Partei profitiert, zerbricht das Bündnis. Durchregieren geht nicht in der großen Koalition. Deshalb wirkt die derzeit mal wieder anschwellende Kritik, dass Merkel und Müntefering eine Vision fehlt, etwas nörglerisch. Man verlangt, was realistischerweise nicht zu erwarten ist. Wer nach zwei Jahren großer Koalition enttäuscht ist, muss sich zumindest fragen, was er denn erwartet hatte.

Manche weisen dann wehmütig auf die Erfolge der großen Koalition in den Sechzigern hin. Damals wurde eine kleine Wirtschaftskrise entschlossen keynianistisch behoben, eine grundlegende Strukturreform, der Länderfinanzausgleich, umgesetzt, eine liberale Strafrechtsreform verabschiedet und zudem noch im Stillen die Ostpolitik vorbereitet.

Doch die Merkel-Müntefering-Regierung stets an der Kiesinger-Brandt-Regierung zu messen ist unscharf. Denn damals holte die Regierung einige konsensfähige und längst überfällige Liberalisierungen nach, die in der späten, autoritären Adenauer-Ära blockiert geblieben waren. Wie effektiv die Kiesinger-Brandt-Koalition gearbeitet hatte, fiel den meisten zudem erst zwanzig Jahre später auf. Bis dahin galt die Koalition als randständige Durchgangsstation auf dem Weg in die sozialliberale Ära der 70er-Jahre.

Schwer zu sagen, wie man in zwanzig Jahren die Merkel-Regierung beurteilen wird. Aber einiges ist deutlich. Die größten Flops der Merkel-Müntefering-Truppe sind ausgerechnet ihre beiden größten Reformen. Viele hatten gehofft, dass die große Koalition die überfällige Renovierung des föderalen Systems klug über die Bühne bekommen würde. Doch die Föderalismusreform, die die Selbstblockade des politischen Systems via Bundesrat und Vermittlungsausschuss beenden sollte, ist am Egoismus und Bürokratismus der Länder gescheitert. Ein deprimierender Befund: Denn wie soll das politische System sich gegen mächtige Interessengruppen von außen durchsetzen, wenn es sich noch nicht mal selbst vernünftig organisieren kann? Gescheitert ist auch die Gesundheitsreform. Die Ideen von SPD und Union waren und sind unvereinbar, der Widerstand der üblichen Lobbygruppen tat ein Übriges.

Es steht auch etwas auf der Habenseite: nichts Glanzvolles, keine Leuchttürme wie der Einstieg in den Atomausstieg, dafür eher Kleinteiliges. Merkel und von der Leyen ist es geglückt, die Union familien- und gesellschaftspolitisch ins Heute zu führen, ohne massives Gegenfeuer der Stammtische zu provozieren. Das ist ein großer Schritt - vor allem für die Union. Gewiss hat das (von Rot-Grün konzipierte) Elterngeld eine soziale Unwucht, weil es Mittelstandsfamilien privilegiert und Arbeitslose benachteiligt. Trotzdem zeigt es, dass die Konservativen die Gleichberechtigung als Wert akzeptieren. Dahinter wird es wohl kein Zurück mehr geben.

Ähnlich sieht es bei der Klimapolitik aus. Fast alle Kritik an Merkels Halbheiten ist berechtigt. Nötig sind die Besteuerung von Flugbenzin, die Abschaffung des Steuerprivilegs für Dienstwagen (die nichts anders als eine massive staatliche Subventionierung der Autoindustrie ist), das Tempolimit auf Autobahnen. All das kann diese Regierung nicht leisten, weil sie, wie Rot-Grün zuvor, den Konflikt mit Daimler, BMW und dem ADAC scheut. Das ist falsch, unvernünftig, aber bei der Konsensmaschine große Koalition wenig verwunderlich. Erstaunlich ist, dass die Merkel-Müntefering-Regierung trotzdem mehr Geld für Wärmedämmung und erneuerbare Energien ausgeben will als Rot-Grün. Das ist keineswegs selbstverständlich, es ist sogar überraschend.

Die Umverteilung von unten nach oben, die Rot-Grün mit seiner Steuersenkungspolitik katastrophal beschleunigte, hat die große Koalition nicht gestoppt, aber verlangsamt und gemäßigt. Dies ist, ebenso wie Merkels betont soziale Rhetorik, eine Konzession an den Zeitgeist, der von den neoliberalen Fieberträumen kuriert ist.

So ist die Bilanz gemischt: nicht schwarz, nicht weiß, sondern grau. Also in etwa so, wie es zu erwarten war. In manchem hatte diese Koalition zudem einfach Glück. Der Aufschwung ist einer boomenden Exportindustrie und der anhaltenden Weltkonjunktur geschuldet, nicht der Weisheit von Merkel. Die Wähler betrachten, wenn man den Umfragen folgt, diese Koalition übrigens ziemlich realistisch - nämlich mit einer Art lauwarmer Sympathie.

Wie geht es weiter? Die Legitimität dieser Regierung ist noch nicht verbraucht. Für die nächsten zwei Jahre hat sie noch ein hochfliegendes Ziel, den Investivlohn, der die Beteiligung der Arbeitnehmer an Unternehmensgewinnen ermöglichen soll. Damit soll die Lücke zwischen explodierenden Unternehmensgewinnen und sinkenden Reallöhnen geschlossen werden. Das klingt großartig, es ist ein Versprechen von mehr Gerechtigkeit. Allerdings wird der Investivlohn seit 40 Jahren immer mal wieder als Zaubermittel angepriesen - und scheitert stets, weil die Arbeitnehmer nicht Lohn gegen mögliche Gewinne eintauschen wollen und die Unternehmen ihre Aktien nicht verschenken.

Doch auch ohne ein zentrales gesellschaftspolitisches Ziel wird diese Koalition halten - mindestens bis 2009, wahrscheinlich länger. Denn weder die Union noch die SPD verfügt über machbare Alternativen. Die Spekulationen vor sechs Wochen, als Kurt Beck mit FDP und Grünen regieren wollte und Schäuble die Grünen lobte, waren just for show. Denn beide Dreierkoalitionen sind unwahrscheinlich. In einer Ampelkoalition sind die Liberalen höchst gefährdet, unter die Räder zu kommen - und in der Jamaika-Koalition laufen die Grünen Gefahr, ihre Basis zu verlieren.

So haben wir ein Fünfparteiensystem, in dem vieles möglich ist, aber am Ende doch immer die große Koalition herauskommt. Das wird sich wohl erst ändern, wenn die SPD ihre Blockadehaltung gegenüber der Linken aufgibt. Also frühestens, wenn Lafontaine in die Rente mit 67 geht.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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