Debatte: Jenseits des Butterbergs

Derzeit werden die unterschiedlichsten Rohstoffe weltweit knapp und teuer. Das zeigt: Die globale Ökonomie kommt den Grenzen des Wachstums schon bedenklich nahe.

Der Anstieg des Milchpreises wird als Symbol in die Geschichte eingehen - als Zeichen eines grundsätzlichen Wandels der Weltökonomie. Denn plötzlich bestimmen limitierte Rohstoffe das Preisgefüge und nicht mehr so sehr die Erzeugungskosten. Das ist neu im Lebensmittelsektor.

Zumal nicht nur Milch, Käse oder Quark teurer wurden, sondern auch andere Agrarerzeugnisse: Weizen kostet heute doppelt so viel wie vor einem Jahr, Soja 60 Prozent mehr. Außerdem haben die Preise für Mais und Kakao angezogen. Im Einzelfall hat es solche Entwicklungen nach schlechten Ernten zwar immer gegeben, doch heute sind sie grundsätzlicher Art, denn Rohstoffe sind weltweit knapp. Und sie werden es auf Dauer bleiben. Seit der Jahrtausendwende etwa lag die globale Weizenernte nur in einem einzigen Jahr höher als die Nachfrage.

Bemerkenswerter noch als der Preisanstieg selbst ist seine Symbolkraft. Schließlich galt Milch über Jahrzehnte als Überflussprodukt schlechthin. Eine ganze Generation ist mit Begriffen wie Milchsee und Butterberg aufgewachsen und fragt sich nun, was noch alles bevorsteht, wenn sogar die Milch knapp wird.

Der Preisauftrieb hat die Rohstoffmärkte in großem Stil erfasst. Die Holzpreise explodierten im vergangenen Herbst, weil aus den heimischen Wäldern nicht mehr herauszuholen ist, ohne frevelhaft an die Substanz zu gehen. Im Januar bescherte dann zwar Orkan "Kyrill" so viel Sturmholz, dass die Preise erst einmal abstürzten, doch an der grundsätzlichen Verknappung von Holz ändert das nichts.

Auch bei den metallischen Rohstoffen herrscht weltweiter Mangel, der sich naturgemäß in steigenden Preisen offenbart. Kupfer und Zinn sind heute jeweils doppelt so teuer wie vor zwei Jahren, der Aluminiumpreis ist im gleichen Zeitraum um 35 Prozent gestiegen, für Blei muss man dreimal mehr zahlen als 2005. Von den Energieträgern kennt man den Trend ohnehin: Rohöl kostet aktuell doppelt so viel wie vor drei Jahren, Uran mehr als viermal so viel.

Bemerkenswert sind die Preisentwicklungen, weil sie eine ökonomische Grundregel auszuhebeln scheinen: Bislang galten Skaleneffekte als unumstößliche Wahrheit - je mehr von einer Ware produziert wurde, umso billiger wurde jedes einzelne Produkt.

Ungezählte Male hat sich diese Regel als zutreffend erwiesen. Autos wurden immer billiger, je mehr von ihnen auf den Straßen fuhren - nicht zuletzt, weil auch Stahl mit steigendem Bedarf immer günstiger zu haben war. Brathähnchen wurden billiger, je zahlreicher sie nachgefragt und erzeugt wurden. Ebenso die Milch. Und auch der Strompreis purzelte mit steigendem Verbrauch über die Jahrzehnte - jeweils inflationsbereinigt, versteht sich.

Doch damit ist es endgültig vorbei, in einigen Branchen jedenfalls. Seit einer Weile schon zeigt sich eine Gegenentwicklung: Die steigende Nachfrage macht das einzelne Produkt sogar teurer. Jedes zusätzliche Auto braucht schließlich Stahl, Bunt- und Edelmetalle und verknappt damit das globale Rohstoffangebot weiter. Das treibt die Kosten. Vergleichbare Beispiele gibt es viele: Heute erhöht auch jede zusätzliche Stromnachfrage den Preis der Elektrizität, statt ihn wie einst zu senken.

So logisch wie einerseits die Skaleneffekte sind, so gnadenlos schlägt neuerdings eine konträr wirkende Logik zu. Die Weltökonomie nähert sich den Grenzen des Wachstums. Damit wird alles teuer, was knapp ist. Auch das Land übrigens: Der Wert von Agrarflächen in den USA stieg im vergangenen Jahr um 14 Prozent auf einen Rekordwert. Und er dürfte weiter steigen.

Fatal nur, dass die Politik die Signale nicht begreift und noch immer den Eindruck zu erwecken versucht, Produktionswachstum sei ohne Ende möglich. In Wahrheit gibt unsere Erde die dafür nötigen Massen an Rohstoffen gar nicht mehr her - zu erleben börsentäglich im Warenterminhandel.

Auch in Zukunft dürften daher die Rohstoffpreise weiter steigen, ob Energie, Metalle oder Agrarprodukte. Vorübergehende Rückgänge wird es geben, doch es wird anschließend umso stärker wieder aufwärtsgehen. Damit bleibt nur ein Ausweg: Eine Weltwirtschaft, die unter dieser Last nicht kollabieren soll, muss deutlich rohstoffeffizienter werden.

So paradox es klingen mag: Um den Kollaps zu verhindern, brauchen wir höhere Steuern auf Energie-, Rohstoff- und Flächenverbrauch. Denn trotz der beginnenden Ressourcenverknappung planen Privatbürger wie Firmen häufig noch immer so, als seien die aktuellen Energie- und Rohstoffpreise für alle Zeiten garantiert. Sie zementieren damit die Verschwendung. Die Politik muss dem entgegentreten mit dem Signal, dass Ressourcen in Zukunft massiv teurer werden. Sie muss die Volkswirtschaft mit sanftem Druck auf Effizienz trimmen, weil die markteigenen Preissignale dafür aktuell noch nicht ausreichen. Nur so kann der Staat die Stabilität seiner Volkswirtschaft sichern. Führt er die Menschen nicht gezielt an höhere Rohstoffpreise heran, wird der vom Markt generierte Preisschock sie eines Tages umso heftiger treffen.

Sozial ist das allemal. Denn verteuert der Staat Rohstoffe und Energie, erzielt er damit Einnahmen, mit denen auch soziale Aufgaben finanziert werden können. Tut er es nicht, wird die zwangsläufige Verknappung die Preise treiben - und der Staat steht mit leeren Händen da.

Gleichzeitig ist natürlich jeder Einzelne gut beraten, sich persönlich auf steigende Preise einzustellen. Wer ein schlecht gedämmtes Wohnhaus erwirbt, muss damit rechnen, dass diesem ein rasanter Preisverfall bevorsteht. Wer ein spritschluckendes Auto kauft, muss damit rechnen, dass dieses auf dem Gebrauchtwagenmarkt als Ladenhüter enden wird. Es gilt also, ressourcensparend zu investieren.

Auch die Industrie sollte sich aus eigenem Interesse dem Thema widmen. Doch davon ist bisher wenig zu erkennen. Viele Branchen haben für eine fortschreitende Verknappung an Rohstoffen schlicht kein Konzept. So sieht es langfristig schlecht aus für jene Firmen, deren Erfolg an billigen Energien und billigen Rohstoffen hängt - so wie Flugzeugbauer und Fluggesellschaften, Autoindustrie und Ferntouristik. Clevere Investoren lehnen solche Kandidaten ab. Unternehmen und Branchen, deren Erfolg stark von den natürlichen Ressourcen abhängt, werden sich schon bald als schlechtes Investment erweisen.

So kann jeder Verbraucher und jeder Unternehmer zu einem Teil selbst entscheiden, wie stark er sich dem rauen Wind massiv steigender Rohstoff- und Energiepreise aussetzt. Nur gegen die im Gleichschritt steigenden Lebensmittelpreise werden wir uns kaum schützen können. Aber in diesem Punkt ist ohnehin Gelassenheit angesagt: Milch und Weizen sind noch immer deutlich billiger als in früheren Jahrzehnten - sofern man korrekt rechnet und die Preise am Lohnniveau bemisst.

BERNWARD JANZING

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