die taz vor 17 jahren über das rumoren in den blockparteien der ddr
:

Die jüngste polnische Geschichte hat uns gezeigt, wie die der realsozialistischen Staatspartei knechtisch untertanen Satellitenparteien plötzlich zu neuem Leben erwachen. Mazowieckis Regierung verdankt ihre Existenz schließlich dem Wechsel der Allianzen, den Bauernpartei und demokratische Partei geschickt in Szene setzten. Natürlich sind die Verhältnisse in der DDR anders. Erst der Druck einer Massenbewegung und revoltierende Parteimitglieder hatten in Polen die Blockparteien in Bewegung gesetzt. Von all dem kann gegenwärtig in der DDR nicht die Rede sein – und doch ist der von vier Mitgliedern der DDR-CDU auf der Eisenacher Synode lancierte Brief an die eigene Partei ein untrügliches Symptom, die erste Zuckung im Revitalisierungsprozeß. Der Brief nimmt die wichtigsten Forderungen auf, die auch in Eisenach an die Staatsmacht gerichtet wurden: Reisefreiheit, ein demokratisches Wahlgesetz, Lockerung der Kontrolle über die Medien, Gemäßigter Fortschritt im Rahmen der Gesetze. Indem in der CDU ausgesprochen wird, was die Leute bewegt, wird die wahnhafte Pseudologik verlassen, mit der die SED die Wirklichkeit wegerklärt. Auch Manfred Gerlach, Vorsitzender der LDPD, versucht sich als eigenständiger Denker. Warum, so sinniert er, haben die Flüchtlinge resigniert, sind sie doch Kinder der Revolution! Gerlach hält seine Parteifreunde dazu an, „sensibel auf Signale zu reagieren, die anzeigen, daß sich junge Leute auf extreme Weise äußern“. Mit dieser Stasi-Prosa wird die LDPD allerdings unter der Jugend keine großen Integrationsleistungen vollbringen. Christian Semler, taz 21. 9. 1989