Familienforscher über Kindergeld: "Mehr Ganztagsschulen"

Die Tendenz der großen Parteien ist richtig, findet Familienforscher Hans Bertram. Doch eine Erhöhung des Kindergelds ist nicht genug.

Familienforscher Bertram mit Familienministerin von der Leyen. Bild: ap

taz: Herr Bertram, ist es richtig, das Kindergeld zu erhöhen? Oder wäre es besser, die notwendigen 2 Milliarden Euro komplett in Maßnahmen wie die Schulspeisung oder den Kita-Ausbau zu stecken?

Hans Bertram: Die Frage stellt sich so nicht. Denn die Entscheidung für ein höheres Kindergeld ist mehr oder weniger ein verfassungsrechtliches Erfordernis. Wenn im Herbst das neue Existenzminimum bekannt gegeben wird, wird damit auch der Steuerfreibetrag für Eltern steigen. Im Effekt bekommen besser verdienende Steuerzahler mit Kindern eine Steuererleichterung. Deshalb aber müssen auch Eltern profitieren, die weniger gut verdienen, die wenig oder keine Steuern zahlen und darum Kindergeld statt eines Steuerfreibetrags bekommen. Man kann jenen Eltern, die nicht so viel verdienen, einen möglichst gleichwertigen Zuschuss nicht verwehren.

Genau das hatte der SPD-Finanzminister Peer Steinbrück aber offenbar vor, als er vorschlug, die 2 Milliarden Euro lieber ganz in die Infrastruktur für Kinder zu stecken.

Er dürfte von dem Zusammenhang zwischen Steuerfreibetrag und Kindergeld gewusst haben. Grundsätzlich aber ist es schon nachvollziehbar und übrigens auch ein ungeheurer Fortschritt gegenüber früheren Zeiten, dass sowohl Union als auch SPD im Bund jetzt in die Familien-Infrastruktur investieren wollen. Möglicherweise hätte man als Beispiel dafür aber eher den Ausbau der Ganztagsschule als die Schulspeisung nennen sollen.

Ergibt die Aufteilung der Eltern in Besserverdiener mit Steuerfreibetrag und Schlechterverdiener mit Kindergeld irgendeinen Sinn?

Nein. Das angelsächsische Modell des "tax credits" ist wesentlich plausibler. Es verlängert die Logik des Steuerzahlens sozusagen nach hinten: Je schlechter jemand verdient, desto höher fällt sein Zuschuss aus, ganz einfach. Aber ich fürchte, was die Besonderheit des deutschen Systems angeht, müssen wir uns aufs Wünschen beschränken.

Wie wäre es, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen? Warum stehen denn überhaupt nur 2 Milliarden Euro zur Verfügung, wenn der Koalition die Kinder so wichtig sind?

Das Kernproblem ist, dass aufgrund des Föderalismus der Bund eigentlich kein Geld an die Kommunen austeilen darf, die ja hauptsächlich für die Kinder-Infrastruktur zuständig sind. Da wäre das umgewidmete Kindergeld ein Hebel gewesen, diese Struktur aufzubrechen. Union und SPD wollen die Situation verbessern, aber die Bundesländer sagen, sie haben kein Geld.

Union und SPD sitzen seit Jahren an der Föderalismusreform. Sie hatten doch jede Gelegenheit zur Veränderung.

Über das Problem der Kinder-Infrastruktur haben sie offenbar nicht geredet. Und die Bundesländer wollten diese Kompetenzen auf jeden Fall bei sich behalten. Im Ergebnis haben die reichen Bundesländer die Freiheit zu investieren, die Kinder in den armen Bundesländern gucken in die Röhre. Andererseits ist etwa das Kinder- und Jugendhilfegesetz ein Bundesgesetz, Familienförderung Bundesangelegenheit. Sehr logisch finde ich das auch nicht.

Es ist nicht gerade hilfreich, die Kindergelderhöhungsdebatte im Wahlkampf zu führen.

Das können wir uns ja leider nicht aussuchen. Immerhin wird jetzt über diese Fragen breit diskutiert. Sachgerecht finde ich es, dass Familienministerin Ursula von der Leyen die wirtschaftliche Situation insbesondere von Familien mit mehreren Kindern verbessern will. Ich denke aber, dass der Dissens in der Sache zwischen den beiden Großparteien kleiner ist, als unter Wahlkampfbedingungen dargestellt wird.

Schadet die SPD mit ihrem chaotischen familienpolitischen Kurs der Sache womöglich mehr, als sie nutzt?

Ich mag das Taktieren der Parteien nicht kommentieren. Wahr ist, dass sich die SPD nach dem Abgang ihrer Familienministerin Renate Schmidt noch keine konsistente Position in dieser wichtigen Frage erarbeitet hat.

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