Pro Olympia im Fernsehen: Guckt die Spiele an!

Die Chinesen freuen sich auf ihre Spiele, vor allem auf Sportarten, in denen sie verlieren: Fußball und Leichtathletik. Der große PR-Feldzug der Regierung ist schon jetzt verloren.

Ich bin nicht für Fernsehen, aber die Olympischen Spiele dürfen ich und meine Kinder gucken. Sie finden direkt vor unser Haustür in Peking statt, wo wir gegenüber dem Arbeiterstadion und Arbeitersporthalle wohnen, in dem die olympischen Fußballspiele und Boxkämpfe ausgetragen werden.

Schon in den letzten Jahren bin ich gerne mit den Kindern zu Fußballspielen ins Arbeiterstadion gegangen, wenn dort die Pekinger Mannschaft in ihren grünen Trikots spielte und die Fans grüne Fahnen schwenkten. Es ist dasselbe Stadion, in dem unter Mao Tse-tung früher Aufmärsche von Sportlern und Militärs stattfanden, die damals alle rote Fahnen schwenkten. Deshalb gefielen mir die grünen Farben so gut. Sie zeigen, dass Sport in China heute durchaus auch unpolitisch sein kann, dass Fußballfans in China nichts anderes als Fußballfans sind und es sein dürfen. Das war unter Mao undenkbar. Jede Versammlung war damals eine Parteiversammlung.

Ein alter KP-Stratege sagte mir ein paar Tage vor den Spielen, man solle die Freude der Chinesen an Olympia nicht als Nationalismus interpretieren. Da ist viel dran. Der beim Publikum beliebteste Sport in China ist nicht etwa Tischtennis, wo die Chinesen immer gewinnen, sondern Fußball, wo die Chinesen immer verlieren. Sie lernen deshalb viel beim Fußball. Viele Chinesen mögen Japaner und Koreaner nicht, sie fühlen sich ihnen auf unangenehme Art überlegen, man kann ihnen deshalb oft zu Recht eine nationalistische Haltung vorwerfen. Doch das gilt nicht beim Fußball, wo fast jeder Chinese bereitwillig anerkannt, dass ihn Japaner und Koreaner besser spielen. Dass Japaner und Koreaner die individuellere und damit modernere Spielweise haben. Dass die Chinesen dagegen immer noch wie ein militärisch gedrilltes Team wirken, wo jeder nur laufen, aber niemand kreativ agieren kann. Selten hört man Chinesen so selbstkritisch reden wie über den Fußball. Umso besser, wenn er nun auch bei Olympia in Peking gespielt wird.

Der Sport ist aber auch allgemein ein Thema, bei dem die Chinesen trotz all ihrer Medaillenhoffnungen nicht zur Selbstüberschätzung und damit zum Nationalismus neigen. Sie wissen sehr wohl, dass ihre besten Sportler oft in Nischensportarten erfolgreich sind und dass ihr Erfolg auf einem altmodischen System strenger staatlicher Sporterziehung beruht, dessen Methoden im kapitalistischen Alltag keinen Menschen mehr weiterhelfen. Sie wissen, dass sie in den Leichtathletikdisziplinen in der Regel chancenlos sind. Gerade deshalb feiern sie ihren Hürdenläufer Liu Xiang, der in Athen als erster Chinese bei einem Leichtathletikwettbewerb Gold holte. Aber Liu verkörpert die Freude der Underdogs, nicht irgendein neues Überlegenheitsgefühl, das man den Chinesen heute im Westen schon gelegentlich unterstellt.

Warum also nicht Olympia in China gucken und den Chinesen in den wichtigsten Sportarten beim Verlieren zuschauen? Natürlich missbraucht jetzt die KP die Spiele und häuft Menschenrechtsverletzungen an. Doch nie konnte man sie dafür so offen auf allen Kanälen kritisieren. Nie hat sie so viele kritische Journalisten ins Land gelassen, die jetzt alle den kommunistischen Unterdrückerstaat geißeln. Und er ist eben nicht nur das. Die KP hat das Land für die Marktwirtschaft geöffnet und damit viel von ihrer Macht abgegeben. Sie kontrolliert das Privatleben ihrer Bürger nicht mehr. Sie hat ihren Bürgern viele neue Rechte gegeben: die Bewegungs- und Reisefreiheit, das Arbeitsvertragsrecht, die Unschuldsvermutung gegenüber dem Angeklagten, den Verbraucherschutz. Sie hat ihnen bisher nicht die politischen Freiheitsrechte eingeräumt und bekämpft diejenigen, die sich diese Rechte herausnehmen. Zu Olympia wieder mehr als in den letzten Jahren. Aber es wirkt wie ein Aufbäumen gegen den allgemeinen Trend. Nie wieder werden im Arbeiterstadion die roten Fahnen wehen. Umso mehr lohnt sich das Hinschauen.

GEORG BLUME

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Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.

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