Kommentar Nato-Beitritt ist keine Sicherheitsgarantie: Wenn Analysen zu kurz greifen

Die Aufnahme Georgiens und der Ukraine in das westliche Militärbündnis würde die Kriegsgefahr im ehemaligen sowjetischen Machtbereich erhöhen.

Viele Kommentatoren des Kaukasuskrieges sind sich einig: Wenn der Westen nicht entschlossen auf Russlands völkerrechtswidriges Vorgehen in Georgien reagiert, wachse die Gefahr, dass Moskau künftig in ähnlicher Weise auch gegen andere Staaten im früheren sowjetischen Machtbereich vorgeht. Deshalb müsse die Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Nato so schnell wie möglich erfolgen und das "Raketenabwehr"-Projekt der USA in Osteuropa realisiert werden.

Die Analyse ist falsch und die Schlussfolgerung kontraproduktiv. Georgien mit seinen Grenzen zu Russland, zum Schwarzen Meer und zur Türkei hat seit dem Ende der Sowjetunion als Kernland der kaukasischen Transitregion für den Transport von Öl und Gas aus dem Kaspischen Becken und aus Zentralasien eine überragende strategische Bedeutung, und zwar sowohl für Russland als auch für die USA. Warum sonst betreiben die USA bereits seit Mitte der 90er-Jahre systematisch die Aufrüstung Georgiens und seine Einbindung in die Nato?

Auch Russlands Interessen an Georgien existieren unabhängig davon, ob in Moskau eine an Demokratie und Reformen orientierte Regierung herrscht, wie in den 90ern, oder ein autokratisches Regime wie jetzt unter den Herren Putin und Medwedjew. Aus diesen Interessen heraus ist das Verhalten Moskaus in der Auseinandersetzung um Georgien zwar nicht entschuldbar, aber doch erklärbar. Keine andere der heute unabhängigen exsowjetischen Republiken oder der früheren osteuropäischen Bündnisstaaten der UDSSR hat eine auch nur annähernd so große Bedeutung wie Georgien. Auch nicht die zentralasiatischen Republiken mit ihren großen Öl- und Gasvorkommen, auch nicht Litauen mit dem noch von Russland genutzten Seehafen - und schon gar nicht Polen. Daher ist ein militärisches Vorgehen Moskaus gegen einer dieser Staaten keine reale Gefahr. Allerdings: Mit der Raketenstationierung macht sich Polen zum Teil des strategischen Kalküls der USA gegen Russland. Und die Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Nato wäre keine verlässliche Sicherheitsgarantie für diese Länder, sie würde im Gegenteil die Gefahr künftiger Kriege im exsowjetischen Machtbereich erhöhen.

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Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.

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