Taugt Margot Käßmann mit ihrem Rücktritt zum Vorbild?

PRO
MONIKA HAUSER ist Gründerin von medica mondiale. 2008 erhielt sie den Alternativen Nobelpreis

Eine aktiv Handelnde im Protest gegen Ungerechtigkeiten – das ist Margot Käßmann ohne jeden Zweifel.

Margot Käßmann denkt in einer politischen Differenziertheit, die Widersprüche unserer Zeit nicht leugnet und die Zukunftsbilder aufzeigt. Sie orientiert sich an Lebendigkeit, an positiver Veränderung und nicht an Machtansprüchen vieler politischer oder religiöser Eliten.

Mit ihrem Handeln brachte sie immer wieder auch ihre Person ins Spiel, sie stellte sie umfassend mit ihrer Lebenswirklichkeit in die öffentliche Diskussion. Mit dieser Kraft – für mich eine feministische – erreichte sie viele, die auf der Suche nach wirklichen Alternativen waren. Das nenne ich Vorbild.

Darin war und ist sie auch ein Modell für die unzähligen Frauen, die ehrenamtlich die elementare Arbeit vieler Gemeinden erst ermöglichen, wie auch Vorbild für jene, die sich einsetzen gegen Gewalt und für soziale Gerechtigkeit – all das hat die Bischöfin als solidarische Partnerin in die Sichtbarkeit und Würdigung geholt.

Trotz ihres Rücktritts wird sie auch weiterhin ein Vorbild darin sein, den Mund aufzumachen, radikal Unrecht zu benennen, die Missstände an ihrer Wurzel zu packen: wenn PolitikerInnen mit Hetze gegen Minderheiten oder Hartz-IV-EmpfängerInnen auf schamlosen Stimmenfang gehen, wenn Regierungen uns die Aufstockung von Militär zur Befriedung der gebeutelten afghanischen Bevölkerung als neue Strategie verkaufen.

Auf welche weiteren Vorbilder können wir jetzt bauen? Kann sie vielleicht auch Vorbild sein für jene, die ihren Rückzug bedauern: um sich selbst auf den Weg zu machen?

Auch Vorbilder machen Fehler, das zu erkennen korrigiert unsere Projektionen. Doch auch im Scheitern ist Margot Käßmann ein Vorbild.

Ob wir es protestantische Ethik nennen oder einfach konsequent – sie bleibt sich treu, sie ist wahrhaftig in ihrem Handeln, in ihrem Respekt vor sich selbst.

So, liebe Politiker, so, verehrte katholische Bischöfe, wäre es möglich, mit Fehlern umzugehen.

CONTRA
PASCAL BEUCKER ist Autor von „Endstation Rücktritt. Warum deutsche Politiker einpacken“

Margot Käßmanns Rückzug ist menschlich verständlich. Aber ein Fehler bleibt er trotzdem. Denn sie hat damit denjenigen einen allzu großen Gefallen getan, die eine selbstbewusste Frau an der Spitze der EKD stets als ärgerlichen Betriebsunfall empfanden – egal ob besoffen oder nüchtern. An den erzkonservativen Christenstammtischen beider Konfessionen dürften nach ihrer Entscheidung die Sektkorken geknallt haben.

Alice Schwarzer hat recht: Ein Mann in der Lage wäre nicht zurückgetreten! Etliche Beispiele belegen das. Der CSU-Politiker Otto Wiesheu etwa hielt es nicht einmal für nötig, sein Landtagsmandat zurückzugeben, nachdem er volltrunken mit 1,75 Promille einen Autounfall verursacht hatte, bei dem er einen Menschen tötete. Später stieg er auf bis zum bayerischen Staatsminister für Wirtschaft, Technologie – und Verkehr.

Margot Käßmann hat keinen Unfall verursacht, niemand ist zu Schaden gekommen. Das entschuldigt ihr Fehlverhalten nicht. Die Vorzeigeprotestantin hat eine Straftat begangen und wird dafür die juristischen Konsequenzen zu tragen haben. Aber hat sie deshalb bereits ihre Glaubwürdigkeit als moralische Instanz verloren? Zu der habe sich die couragierte Kirchenfrau zu lauthals, zu selbstverliebt aufgeschwungen, hieß es – als würde eine Fahrt im betrunkenen Zustand ihre Kritik an dem Krieg in Afghanistan oder an Hartz IV delegitimieren!

Leider scheint Käßmann selbst dieser absurden Auffassung zu sein. Ihre „Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen“, wäre künftig eingeschränkt gewesen, sagte sie in ihrer Rücktrittserklärung. Wenn die katholischen Bischöfe oder der Papst mit einer solchen Begründung persönliche Konsequenzen aus ihrer Verstrickung in die jahrzehntelange Vertuschung von Kindesmissbrauch ziehen würden, hätte das in der Tat Vorbildcharakter. Bei Käßmanns Rücktritt ist das leider nicht der Fall. Die Maßstäbe dürfen nicht verschwimmen. Es wäre besser gewesen, sie hätte dem Druck standgehalten. Da sollte die Kirche doch bitte schön im Dorf bleiben.