Bankrott ist keine Lösung

GRIECHENLAND Das Ressentiment gegen „die faulen Griechen“ verhindert Maßnahmen, die die deutschen Steuerzahler tatsächlich entlasten

■ ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz. Soeben erschien ihre Studie „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Westend).

Die Finanzmärkte erinnern an einen verliebten Teenager, der zwischen Ekstase und Verzweiflung taumelt. Eben noch wirkte die Eurozone stabil, jetzt scheint sie vom ultimativen Verfall bedroht. Und schuld ist angeblich Griechenland, das gerade mal die Wirtschaftskraft von Hessen hat. Wie kann das sein?

Will man sich dieser seltsamen Börsenpsychologie nähern, ist zunächst einmal festzuhalten, dass tiefschwarzer Pessimismus berechtigt ist. In vielen Ländern sind Staat und Bürger hoffnungslos überschuldet. Bedroht sind vor allem die USA und Großbritannien, obwohl sich die Aufmerksamkeit momentan eher auf Randzonen wie Spanien oder Portugal konzentriert. „Griechenland“ war jedenfalls nicht die letzte Krise.

Manische Zuversicht

Erklärungsbedürftig ist also nur der Optimismus, zu dem die Herde der Börsianer neigt. Selbst mitten in der Finanzkrise lassen sich viele Investoren nicht irritieren, wie die Höchststände bei den Aktien zeigen. Dieser manische Hang zur Zuversicht folgt aus der Logik der Spekulation: Mit Leerverkäufen und Derivaten kann man zwar auch auf fallende Kurse wetten – aber dabei gewinnen immer nur Einzelne, während die Masse verliert. Lohnend ist das Börsenspiel auf Dauer nur, wenn die Kurse steigen. Also wird am liebsten auf Optimismus gemacht.

Auch in Griechenland wurde der Staatsbankrott erst entdeckt, als er schon unübersehbar war. Dabei ist die Situation nicht schwer zu überblicken: Die öffentlichen Schulden liegen momentan bei 115 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Als die Märkte noch nicht verrückt spielten, mussten die Griechen im Durchschnitt 4,5 Prozent Zinsen zahlen. Das Aufkommen an Einkommensteuern in Griechenland beträgt aber nur 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wie die OECD ermittelt hat. Daraus kann jeder Spekulant messerscharf folgern, dass sich mit diesen mageren Einkünften die Zinslasten nicht schultern lassen – von irgendeiner Tilgung ganz zu schweigen. Die Finanzmärkte wurden daher prompt nervös, als sich die neue griechische Regierung im Herbst entschloss, das wahre Ausmaß ihrer Schulden offenzulegen.

Natürlich kann die griechische Regierung sparen, wie es der Internationale Währungsfonds und die EU jetzt fordern: Sie kann die Mehrwertsteuer erhöhen, die Einkommensteuer auch bei den Selbständigen eintreiben, den Militäretat kürzen, Krankenhäuser schließen und Weihnachtsgelder streichen. Trotzdem dürfte es für die Gläubiger Griechenlands zu spät sein, weil jeder Sparkurs die Wirtschaft abwürgt. Ein Staatsbankrott scheint unausweichlich. EU und IWF können ihn wahrscheinlich nicht mehr aufhalten – sondern aus einem chaotischen Crash nur noch eine geordnete Abwicklung machen. Mit Glück.

Sturm auf die Banken

Der politische Rückstoß ist enorm. 56 Prozent der Deutschen wollen nicht für „die faulen Griechen“ zahlen. In ihrem nationalistischen Furor entgeht den Bundesbürgern, dass viele Griechen mit umgekehrter Stoßrichtung ganz genauso denken: Sie wollen nicht für die ausländischen Geldgeber bluten müssen. Es ist eine seltsame Allianz, die sich da unbemerkt formiert. Griechen wie Nichtgriechen finden einen spontanen Staatsbankrott akzeptabel, während ihre jeweiligen Regierungen hektisch versuchen, die Pleite zu vermeiden.

Irgendjemand muss sich irren – und es sind nicht die Regierungen, die zu den Dummköpfen zählen. Ein ungeordneter Staatsbankrott wäre tatsächlich katastrophal. In Griechenland würden sämtliche Banken sofort zusammenbrechen. Schließlich besitzen sie etwa 40 Milliarden Euro an griechischen Staatsanleihen – vor allem aber würden die Griechen in die Banken stürmen, um ihr Geld abzuziehen. Wenn der Staat bankrott ist und die Einlagen nicht mehr garantieren kann, muss es zur Massenpanik kommen, weil jeder Sparer zu Recht annimmt, dass sein Konto nicht mehr sicher ist.

Auch für die Deutschen würde ein chaotischer Staatsbankrott teuer, schon weil Pleitebanken wie die Hypo Real Estate, die Commerzbank und einige Landesbanken Milliarden in Griechenland investiert haben. Vor allem aber wäre abzusehen, dass auch Defizitländer wie Portugal oder Spanien keine neuen Kredite mehr bekämen, – und dort sind die deutschen Banken noch stärker engagiert.

IWF kauft Zeit für Griechenland

Eine seltsame Allianz: Viele Deutsche haben nichts gegen einen griechischen Staatsbankrott – das geht vielen Griechen genauso

Der Sinn der Rettungspakete ist schlicht: EU und IWF versuchen, Zeit zu kaufen. Für drei Jahre werden nun alle Verbindlichkeiten Griechenlands übernommen, auf dass es danach seine Schulden allein bedienen kann. Wahrscheinlich ist dies nicht – aber bis dahin haben sich vielleicht Spanien und Portugal so weit saniert, dass sie nicht mehr in die Griechenland-Turbulenzen hineingezogen werden.

Obwohl Rettungspakete für Griechenland zwingend sind, ist die Wut der Bürger verständlich. Denn es ist ungerecht, dass jetzt alle Steuerzahler bürgen sollen – während vorher vor allem die Vermögenden von den Staatsanleihen profitierten.

Politisch bedenklich ist jedoch, dass die Wellen der Empörung in dieser Finanzkrise immer wieder gleich verlaufen: Stets wird nach individuellen Schuldigen gesucht. Jetzt sind es eben „die faulen Griechen“. Ebenso gern möchten viele Deutsche wissen, wer die Gläubiger der Hypo Real Estate sind, um diese dann gesondert zu belangen. Offenbar wird nicht verstanden, dass die Finanzkrise eine weltumspannende, systemische Krise ist, die weitere enorme Kosten verursachen wird. Stattdessen wird der Fehler der Börsianer kopiert: Auch die wütenden Bürger glauben, dass es sich nur um einzelne Krisenphänomene handele – für die man einzelne Spekulanten und Investoren heranziehen will.

Diese „Privatisierung“ der Krise ist unpolitisch, weil ausgeblendet wird, dass indirekt alle Anleger profitieren, wenn das Finanzsystem stabilisiert wird. Folglich wären auch alle Investoren an den Rettungskosten zu beteiligen – durch eine Finanztransaktionssteuer, durch höhere Spitzensteuersätze und steigende Steuern auf Kapitalerträge. Solche Maßnahmen haben jedoch keine Chance, solange nur nationalistisch auf die „faulen Griechen“ geschimpft wird. ULRIKE HERRMANN