LESERINNENBRIEFE
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Worin würde uns Micha Brumlik folgen?

■ betr.: „Ein Motiv, das man nur ablehnen kann“, taz vom 31. 8. 10

Herr Prof. Dr. Brumlik schreibt über die deutsche Sektion der European Jews for a Just Peace (EJJP), die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost, deren Vorsitzender ich bin. In seinem Kommentar nennt uns Herr Brumlik „rührig“. Dafür danke ich.

Sein Thema ist aber unsere Unterstützung eines „jüdischen Schiffs“ nach Gaza; dies, schreibt er, sei nicht ernstzunehmen, schließlich handle es sich bei der in Gaza regierenden Hamas um „eliminatorische Antisemiten“. Das Argument ist von ähnlicher Qualität wie die Kritik an Willy Brandts Ostpolitik vor vierzig Jahren: „Wie kann man mit den Kommunisten im Osten reden? Wir müssen sie boykottieren, niederrüsten!“ Das war der Kalte Krieg. Dann kamen Gustav Heinemann, Willy Brandt und Egon Bahr und betrieben Wandel durch Annäherung, dichterisch: „Tschuldigen Sie! Ist das der Sonderzug nach Pankow?“ Deswegen unterstützen wir das jüdische Boot nach Gaza. Es ist ein Symbol für Brückenbauen, für Wandel durch Annäherung. Insofern finden wir es richtig, wenn dieses Boot in Gaza durch führende Persönlichkeiten der Hamas begrüßt und verabschiedet wird: Ja, wir „brüsten uns damit“.

„Unsere“ Seite, die westlich-europäisch-israelische, hat seit Jahren mit ihrer Behandlung der Hamas das Völkerrecht flagrant verletzt. Die Nichtanerkennung der gewählten Hamas-Administration durch Israel, die USA und EU verhöhnt die so großartig hochgehaltenen Werte von Demokratie. Der Putschversuch gegen die Hamas 2007 war illegal. Die darauf folgende Blockade Gazas ist illegal. Die Zerstörung der Lebensgrundlagen von Gaza ist illegal. Die Verhaftung und Ermordung führender Hamas-Mitglieder durch Israel ist illegal. Das Pogrom gegen Gaza zur Jahreswende 2008/2009 war illegal. Das alles geschieht, weil die Einwohner Gazas in ihrer Mehrheit Nachkommen des großen Unrechts der Vertreibung von 1948 sind; einige wurden sogar noch in den 1950er Jahren aus Israel deportiert, zu „Friedenszeiten“.

Deshalb ist es so niederträchtig vom jüdischen Mainstream, mit dem Finger nur auf die andere Seite zu zeigen. Ja, die Hamas schießt Mörserraketen auf ihre ehemalige Heimat ab, und ja, die Hamas unterstützt offenbar das Mordattentat auf vier israelische Siedler und hält damit der israelischen Seite einen schrecklichen, grotesken Spiegel vor. Der Ausweg aus diesem Schlamassel ist, dass Israel für das Unrecht von 1948 das palästinensische Volk endlich um Verzeihung bittet.

Brumlik findet, mit diesem Brückenschlag nach Gaza würden wir nun wirklich zu weit gehen. Worin hätte er uns in letzter Zeit denn folgen können? Als wir den Hungerstreik von Firas Maraghy in Berlin unterstützten, der von Israel vor die Wahl zwischen Heimat und Familie gestellt wird, weil Israel die palästinensischen Bewohner des besetzten Ostjerusalems illegalerweise verdrängt? Als wir den gewaltfreien Widerstand der Dorfbewohner von Bil’in gegen den illegalen Verlauf der Sperrmauer unterstützten? Als wir gegen das Militärgerichtsverfahren gegen den Anführer dieses Widerstands protestierten? Wir sind es, die bei solchen Aktionen uns an den ebenso traditionellen wie zeitlosen Werten von Gerechtigkeit und Menschenrechten ausrichten und so den beschmutzten jüdischen Namen aus dem Dreck holen.

ROLF VERLEGER, Lübeck

Es geht auch um Rache

■ betr.: „Die lebenden Toten“, taz vom 1. 9. 10

Natürlich ist absolute Sicherheit eine Illusion. Auch das unbegrenzte Wegsperren von Mördern verhindert nicht, dass immer wieder Morde geschehen. Ich weiß aber nicht, ob es in dieser Diskussion nur um Sicherheit geht oder auch um Rache. Für mich sind Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sehr hohe Werte, für die wir uns immer wieder einsetzen müssen, auch wenn es sich dabei um die Rechte von Menschen handelt, die anderen besonders Böses angetan haben. Es gibt keinen anderen Weg! Ich denke, diesen Zwiespalt müssen demokratische Gesellschaften aushalten.

Wenn in der Schweiz ein Volksbegehren erwogen wird, die Todesstrafe gerade für solche Straffälligen einzuführen, wird noch einmal mehr klar, was auf dem Spiel steht, wenn wir diese wertvollen Grundnormen zur Disposition stellen.

INGELORE FOHR, Düsseldorf

Klasse Werbekampagne für Sarrazin

■ betr.: „Der rechte Rechner“, taz vom 3. 9. 10

Klasse Kampagne, Kompliment an die Redakteure der Presse, eine bessere Werbekampagne für Sarrazins Buch kann es nicht geben, alle jaulen auf, sind empört weisen zurück, schließen aus und Sarrazin und der Buchverlag kassieren. In wenigen Tagen 70.000 Exemplare, das muss mal einer nachmachen. Die Berufsempörer haben endlich wieder ein Thema. Profiteur des ganzen „Aufregung“ ist Schwarz-Gelb, sie können in aller Ruhe unbehelligt von den Medien, denn die müssen sich um Sarrazin kümmern, den größten Sozialraub in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vorbereiten und auf den Weg bringen. Kompliment an die Drahtzieher im Bundespresseamt. Eine gelungene Kampagne, Herr Seibert und seine HelferInnen machen einen guten Job. MANFRED HEEB, Burgberg