JÜRGEN GOTTSCHLICH ZUM ERSTEN TÜRKEIBESUCH VON BUNDESPRÄSIDENT WULFF
: Präsidenten im gleichen Geist

Christian Wulff hat das Thema seiner Präsidentschaft gefunden. Ein Satz genügte: seitdem steht er im Zentrum einer Debatte, die seinem Besuch in der Türkei nun ungewöhnliche Aufmerksamkeit beschert. Unter vielen türkischstämmigen Migranten haben seine Berufung der ersten türkischstämmigen Ministerin, damals noch als Ministerpräsident in Niedersachsen, und seine Randbemerkung zum Islam in Deutschland die Erwartung geweckt, dass es an der Spitze des Staates jetzt einen Mann gibt, der dem Wahnsinn von Sarrazin bis Seehofer vielleicht Einhalt gebieten kann, bevor in Deutschland erneut Häuser von Einwanderern brennen. Und auch die türkische Regierung und die hiesige Öffentlichkeit schaut deshalb mit sympathisierendem Interesse auf den Gast aus Deutschland.

Seit Gerhard Schröder als Kanzler abgewählt wurde, gab es in Deutschland keinen Politiker von Rang mehr, der sich für gute Beziehungen zwischen beiden Ländern eingesetzt hat. Wulff könnte helfen, wenn schon nicht die politischen Beziehungen und den Fortschritt der EU-Beitrittsverhandlungen, so doch zumindest das Klima zwischen Deutschland und der Türkei wieder zu verbessern.

Die jüngsten Bemerkungen des türkischen Präsidenten Abdullah Gül, der die türkischstämmigen Einwanderer in Deutschland zur besseren Integration aufforderte und den Fußballer Mesut Özil dabei als Vorbild pries, zeigen überdies, dass Wulff in Ankara einen Partner im Geiste hat. Anders als seine Vorgänger hält Gül nichts mehr davon, die türkischen Einwanderer in Deutschland für Ankaras kurzfristige Interessen zu instrumentalisieren. Auch wenn beide wenig Einfluss auf die Tagespolitik haben: im Dialog zwischen ihren Ländern können sie eine wichtige Rolle spielen.

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