ULRICH SCHULTE ÜBER DIE ELTERNGELDKÜRZUNG FÜR HARTZ-IV-BEZIEHER
: Der Hass auf die Unterschicht

Ohne Elterngeld wachsen Kinder der Unterschicht noch isolierter auf

Hartz-IV-Empfänger vermehren sich wie Kaninchen, investieren die Staatshilfe lieber in Zigaretten und Flachbildschirm-Fernseher statt in ihren Nachwuchs und züchten so die Verlierer der Zukunft heran. Dies ist, grob zusammengefasst, das gängige Klischee über die Familienplanung armer Menschen, das bei allen denkbaren Anlässen immer aufs Neue von Mittelschichtsvertretern in Politik und Medien sowie Angehörigen der sogenannten Eliten ventiliert wird.

Diese empirisch nicht haltbare Diskurssetzung schlägt sich jetzt in konkreter Politik der schwarz-gelben Koalition nieder. Während sie das Elterngeld für arbeitende und gut verdienende Angehörige der Mittelschicht nur minimal absenkt, streicht sie diese Leistung für Langzeitarbeitslose komplett. Systemlogisch gedacht, lässt sich dies begründen, schließlich ist das Elterngeld der Definition nach eine Lohnersatzleistung – und Arbeitslose erhalten eben keinen Lohn.

Gesellschaftspolitisch setzt die Koalition jedoch ein fatales Signal. Es lautet: Mittelschichtskinder sind erwünscht, Kinder armer Eltern nicht. Damit bedient sie nicht nur das erwähnte Vorurteil, armen Eltern sei die Zukunft ihrer Kinder weniger wichtig. Sie handelt auch entgegengesetzt ihrer eigenen Maxime. Die Kanzlerin hat moderne Familienpolitik zu ihrem Thema erklärt, sie betont ebenso wie die Fachministerin gerne, wie entscheidend Bildungsteilhabe von Kindern für die Zukunft der Gesellschaft ist. Die Streichung des Elterngeldes jedoch bewirkt das Gegenteil.

Auch wenn Hartz-IV-Familien zukünftig nicht hungern werden, im Zweifel werden Eltern sich das Babyschwimmen ebenso wenig wie die Zeit für Netzwerke leisten können, um sich mit anderen, eventuell bildungsaffineren Eltern auszutauschen. Die Kinder wachsen damit von vornherein in einem isolierten Umfeld auf. Mit der Verengung auf ihre Klientel sorgt die Koalition dafür, dass das Elterngeld nun zum Mittel der Ausgrenzung wird.

Thema des Tages SEITE 3