Debatte Rechtspopulismus in Europa: Padanien über alles

Neue rechte Bewegungen und Parteien gewinnen in Europa immer mehr an Einfluss. In Italien ist das Phänomen schon lange bekannt.

Wahlerfolge rechter Populisten erschüttern die EU: Die Wahren Finnen kommen auf 19 Prozent, die Partei für die Freiheit in den Niederlanden auf 15,5 Prozent, die Schwedendemokraten auf 5,7 Prozent – was immerhin 20 Sitzen im Reichstag entspricht – und die Türen des Élysée-Palasts scheinen weit offen zu stehen für Marine Le Pen, die Führerin des Front National.

Italien ist dieser Entwicklung voraus: Die Lega Nord sitzt seit 2001 mit in der Regierung, die Jahre 2006-2008 ausgenommen. Heute stellt sie drei Minister, fünf Staatssekretäre, 59 Abgeordnete und 26 Senatoren. Sie ist als Koalitionspartner Silvio Berlusconis die drittstärkste Kraft, an ihr kommt keiner auf dem Stiefel vorbei.

Und wenn auch das Lager des Cavaliere beim ersten Durchgang der Kommunalwahlen vom vergangenen Wochenende Verluste hat hinnehmen müssen, so ist es der Lega doch gelungen, ihren Einflussbereich noch einmal zu erweitern: In der linken Hochburg Bologna kam sie auf 10,7 Prozent.

Kleine Geschichte der Lega

Genau besehen unterscheidet sich die Lega in wesentlichen Punkten von den meisten anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa. Gewiss: Auch sie ist euroskeptisch, interpretiert Zuwanderung ausschließlich als Bedrohung, polemisiert gegen die "Altparteien", lässt in der Agitation keine Vulgarität aus; als regionale, ja separatistische Partei identifiziert sie sich jedoch nicht mit dem Nationalstaat. Unter ihrem Markenzeichen versammeln sich zudem ganz unterschiedliche politische Positionen, denen gemeinsam nur die strikte Abgrenzung gegen alles ist, was "außerhalb" steht.

Die "Lega Nord für die Unabhängigkeit Padaniens" wird 1989 aus der Taufe gehoben. Unangefochtener Chef war damals wie heute Umberto Bossi, dem es gelang, verschiedene autonomistische Splittergruppen, die im Wesentlichen durch rassistische Graffiti gegen süditalienische Arbeitsmigranten auffielen, zu vereinen. "Padania" – ein Neologismus – sollte für die zukünftige Identität stehen.

Man behauptete, eine eigene Kultur und Sprache zu haben, das "Padanische", die all die unterschiedlichen Dialekte Norditaliens in sich vereine, und bediente sich pseudoreligiöser Symbole wie dem Transport einer Ampulle mit Quellwasser des Po bis zu seiner Mündung – dem Fluss, der Padanien den Namen gab. Und schließlich schuf man eine Struktur, in der regionale Bewegungen neben der Zentrale bestehen: Deswegen ist es auch kein Zufall, dass sich parallel zur eigentlichen Partei paramilitärische Gruppen herausbildeten, die als Freizeitpolizei Stadt und Land kontrollieren.

Wohlstandspazifisten

Die Lega Nord bekam so immer mehr Züge einer Staatsverwaltung als die einer demokratischen Partei in einem Nationalstaat. Am 15. September 1996 wurde dann auch die Unabhängigkeit Padaniens proklamiert, man nahm – zusammen mit Kurdistan, Tibet und Palästina – an der Viva-Fußball-WM der Möchtergernnationen teil: Der Föderalismus innerhalb Italiens gilt nur als Übergang hin zur allseits bedrohten Freiheit. Aber Freiheit von was? Wer ist eigentlich der Feind?

Bei den Regionalwahlen 2010 konnte die Lega ein Viertel der Stimmen in Norditalien gewinnen. All den verquasten Unsinn um Tradition und Identität konnte man glauben oder nicht – es reichte, sich als Teil des neuen Staatsvolks zu fühlen. Die heutige Wählerschaft der Lega besteht so zu einem nicht geringen Teil aus früheren Gegnern, nicht zuletzt den anfangs angefeindeten Süditalienern. Das neue "Außen" sind die Migranten aus dem Maghreb, ist der Islam allgemein, sind alle, die sich der Lega-Ideologie nicht unterwerfen wollen. Aus diesem Grund hat die Lega – die sich in ihren Anfängen antiklerikal, ja sogar neoheidnisch gab – keine Skrupel, sich der katholischen Kirche anzunähern.

Der Lega gelingt es aber auch, Wähler aus der Arbeiterklasse an sich zu ziehen, die sie in ihrer regionalen Verwurzelung und Volksnähe mehr an die alte kommunistische Partei und Kultur erinnert als die gegenwärtigen Linksparteien. Die Lega kann sich sogar eines rhetorischen Antifaschismus befleißigen, wenn es im Konkurrenzkampf gegen den ehemaligen Koalitionspartner – die gewandelten Neofaschisten um Gianfranco Fini – opportun erschien; und bei der Debatte über den Libyen-Einsatz stand sie an vorderster Front der Wohlstandspazifisten, die Libyen nicht kümmert, sondern die nur die Angst vor neuen "Migrantenfluten" ins Feld führen, auf die man – wenn es nach einigen Lega-Parlamentariern geht – einfach an der Grenze scharf schießen sollte.

Deutsche Insel der Seeligen?

Lässt sich irgendetwas davon auf Deutschland übertragen? Ist die BRD – von den Erfolgen der organisierten Nazis im Osten abgesehen – nicht die Insel der Seligen in einem immer populistischer werdenden Europa?

Das Phänomen Lega zeigt, dass sich die neue, die wirklich moderne europäische Rechte eben gerade nicht da entwickelt, wo Armut und Arbeitslosigkeit das Bild bestimmen, sondern in den reichen Regionen, die von der Zentralregierung "gezwungen" werden, den weniger entwickelten Landesteilen einen Teil ihres Vermögens zu überweisen. Diese Regionen, die dank ihrer Wirtschaftskraft Migranten anziehen, entwickeln ihnen gegenüber eine neue Art der Ablehnung. Es geht hier nicht um den Nazikult des Übermenschen, sondern alles hängt an der hartnäckigen Weigerung, vom eigenen Wohlstand auch nur das Geringste abzugeben.

Dabei muss es allerdings nicht bleiben: Im französischen Sender Canal + konnte man kürzlich einen Mann mit auffälliger grüner Krawatte sehen, der mit einem Grüppchen der rechtsextremistischen französischen Organisation Nissa Rebela plauderte: "Es gibt gute Mittel, um nicht als Faschisten beschimpft zu werden, sondern sich als neue, katholische Bewegung zu präsentieren, nah an den Leuten. Aber in Wirklichkeit bleibt man sich treu." Dieser Mann war Mario Borghezio, Lega-Abgeordneter im Europaparlament. Bei den Versammlungen seiner Partei vergisst er nie, darauf hinzuweisen, dass Mussolini und andere faschistische Größen aus "Padanien" stammten.

Übersetzung: Ambros Waibel

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