Debatte Attentate in Oslo: Prima Klima für Einzeltäter

Populisten und andere Islamfeinde wollen mit der schrecklichen Tat aus Norwegen nichts zu tun haben. Lasst sie damit bloß nicht davonkommen, sagt Robert Misik.

"Es sind Politiker, Blogger, Publizisten, die das Klima angeheizt haben", sagt Robert Misik. Bild: Reuters

Ein einzelner Wirrer sei das in Norwegen gewesen, trommeln jetzt die Sprecher rechtspopulistischer Parteien und die Poster in der gut vernetzten islamophoben Bloggosphäre, sinnlos sei es, über so jemandes "Motive" zu sprechen. Klar: Denn "die Motive" der Taten, so wissen wir derweil, das sind genau jene Ideologieversatzstücke, die die österreichischen Freiheitlichen, Rechtspopulisten wie Geert Wilders, "Pro Köln", die norwegische "Fortschrittspartei" und die "Schwedendemokraten" oder Blogs wie "Politically Incorrect" und andere Tag für Tag in die Welt hinausposaunen. Kein Wunder, dass sie jetzt nicht über "die Motive" ihres Gesinnungsfreundes reden wollen.

Anders Behring Breivik ist ein Einzeltäter und, ja, auch ein "Psycho" (Süddeutsche Zeitung). Freilich, was der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1993 nach den ausländerfeindlichen Morden von Solingen und Mölln sagte, das stimmt auch hier: "Einzeltäter kommen hier nicht aus dem Nichts."

Es sind Politiker, Blogger, Publizisten, die das Klima angeheizt haben, in dem einer wie Anders Behring Breivik erst auf die Idee kommen konnte, dass der "bloße" politische oder publizistische Kampf gegen die als elementar bedrohlich imaginierte Moslemgefahr nicht mehr ausreicht. Es ist wie eine groteske Spiegelung: Was sie immer den normalen Muslimen angedichtet haben, dass diese "irgendwie verantwortlich" seien für die Gewaltakte islamistischer Terror-Sekten, das haben sie jetzt selbst geschaffen: Spinner, die bereit sind, der Flausen wegen, die sie ihnen in den Kopf gesetzt haben, Dutzende von Menschen zu ermorden. Wenn der Begriff vom "geistigen Mittäter" je einmal Sinn gemacht hat, dann hier.

Kaltschnäuziger Henryk M. Broder

Wird das in diesem Milieu wenigstens Nachdenkprozesse auslösen? Henryk M. Broder, der antiislamische Autor, von dem einige Textstellen in Behring Breiviks Manifest affirmativ zitiert werden, wehrt auf unfassbar kaltschnäuzige Weise in der Welt jede Mitverantwortung seines Milieus ab. Breivik habe sich im Gegenteil die Dschihadisten zum Vorbild genommen, so die wirre Logik. Was will uns Broder, den manche gute Bürger selbst heute noch für einen preiswürdigen Schriftsteller halten, damit sagen? Dass der islamfeindliche Terrorist gewissermaßen ein verkappter Moslem war?

Nicht ganz so abstrus, dafür unfreiwillig komisch, klingt Heinz-Christian Strache, der Chef der österreichischen FPÖ. "Pietätlos", sei es, jetzt die Tat des Mörders mit politischen Strömungen zu verbinden, denen er entstammt. Dass er es pietätlos findet, Dschihadisten-Anschläge mit dem Islamismus zu verbinden, hat man von Strache bisher freilich nie gehört. Wenigstens auf "Politically Incorrect", dem Quasi-Zentralorgan der Moslemhasser, gab man sich im ersten Schrecken nachdenklicher: "Was er schreibt, sind großenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten." Und dann wird spekuliert, ob der Mann, der doch aus ihrer Sicht ganz vernünftiges Zeug geschrieben habe, "an einer psychischen Krankheit leidet, die seither schlimmer geworden ist?"

Moslemhasser sind paranoid

Aber funktioniert eine solche Selbstexkulpierung der Islamkritiker durch Pathologisierung des Täters? Einer wie Breivik ist sicherlich auf viel verrücktere Weise ein Spinner, als einer, der sich Tag für Tag die Finger am Computer wund schreibt, der in Blogs vor dem "demografischen Dschihad" warnt und den Halbmond schon über Deutschland aufgehen sieht.

Aber es ist auch nicht einfach so, dass der "irrsinnige" Extremist vom "vernünftigen" Extremisten durch einen Graben geschieden wäre, der eine gesund, der andere krank. Denn schon der "normale" Extremismus lebt von der Paranoia: der Paranoia, dass wir hier alle von Moslems umzingelt sind, die nur darauf warten, uns die Gurgel durchzuschneiden, er steigert sich hinein in einen Tunnelblick und Verfolgungswahn. Weil der totale Paranoiker zum Mörder wird, ist der "normale" Paranoiker aber deswegen noch längst nicht vernünftig. Zurechnungsfähig ist er allerhöchstens auf sehr, sehr relative Weise.

"Das darf man ja wohl sagen"

Das Massaker von Oslo und Utøya ist eine Wasserscheide: Die Zeit des Verniedlichens muss jetzt endlich vorbei sein.

In den vergangenen Jahren sind Rechtspopulisten in verschiedenen Ländern Europas nicht nur zu gewichtigen politischen Playern aufgestiegen - ein Aufstieg, den sie primär dem Schüren antiislamischer Ressentiments verdanken. Mehr und mehr wurden sie beinahe als "respektable" Kraft angesehen, als etwas radikale, aber doch im Grunde "normale" politische Kräfte. Aufgrund von 9/11 und angesichts der Veränderungen unserer Gesellschaften durch Migration wurden antiislamische Ressentiments nicht nur verbreiteter, sondern auch hoffähiger. Vielen war Henrik M. Broder ein liebenswerter Clown.

Um die Zirkel radikaler Spinner bildeten sich konzentrische Kreise normaler Bürger, die zwar nicht alle Postulate der Moslemhasser vertreten, doch manche ihrer Meinungen teilen und selbst die bizarrsten Wortmeldungen tolerieren. Durchaus angesehene Zeitungen gaben ihnen Raum, ihre Positionen zu vertreten, vom Boulevard ganz zu schweigen, wo Menschenhass sich hinter der Floskel "Das wird man doch noch sagen dürfen" verschanzt. Kurzum: Die gesellschaftliche Immunabwehr hat ausgesetzt.

Sicherheitsdienste und Verfassungsschutz durchleuchteten islamische Szenen, Linksradikale und die alten Neonazi-Kreise, aber dass sich das Milieu der rechtskonservativen Wutbürger radikalisierte, wurde übersehen - trotz dessen sichtbar wachsenden Grolls gegen Multikulti, Ausländer, Muslime, gegen alles, was anders ist, trotz deren zunehmend menschenfeindlicher Sprache, mit der sie sich über "Hinternhochbeter" und "Schafficker" auslassen.

Nach dem Massaker versuchen die geistigen Brandstifter den Kopf ein bisschen einzuziehen. Wortreich bekunden sie jetzt, dass sie mit der Tat eines solchen "Irren" doch nichts zu tun haben. Sie versuchen, sich davonzustehlen. Man sollte sie nicht einfach so damit durchkommen lassen.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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