Kommentar Psychiatrie in Russland: Die Rückkehr der Zwangsjacke

Eigentlich müssten die Pläne zum erneuten Einsatz der Zwangsjacke in Russland den Westen auf den Plan rufen. Doch da sind wirtschaftlichen Interessen vor.

Maßnahmen zur Verbrechensprävention braucht Russland angesichts schauderhafter Kriminalitätsraten tatsächlich. Doch das Gesetz, das die Staatsmacht nun vorbereitet, macht selbst schaudern: Potenzielle Straftäter sollen in die Psychiatrie eingewiesen werden können, um gesetzeswidrige Taten im Vorfeld zu verhindern.

Dieses Projekt erinnert an finsterste Sowjetzeiten, als Dissidenten systematisch als "Geisteskranke" weggesperrt wurden. Diejenigen, die diese Folter überlebten, waren für den Rest ihres Lebens menschliche Wracks. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusehen, dass die Medizin künftig erneut missbraucht werden wird, um Andersdenkende aus dem Verkehr zu ziehen.

Beispiele für die Anwendung menschenverachtender Praktiken gibt es in Russland bereits jetzt genügend. So ist es kein Zufall, dass unabhängige Beobachter keinen Zutritt zu psychiatrischen Kliniken haben. Im Gegenteil: Das passt zu einem System, das sich von einer "gelenkten Demokratie" längst zu einer Autokratie entwickelt hat.

ist Osteuropa-Expertin im Auslands-Ressort der taz.

In Russlands Institutionen regieren Willkür und Korruption. Vor vorgeblich unabhängigen Gerichten finden politische Schauprozesse statt. Regierungsgegner können froh sein, wenn sie nach der Teilnahme an einer Demonstration nur ein paar Tage in Haft genommen werden.

Eigentlich müssten bereits die Pläne zum erneuten Einsatz von Zwangsjacke und Psychopharmaka den Westen auf den Plan rufen. Doch von dort ist nicht mit Protest zu rechnen. Denn statt Menschenrechtlern haben bei uns schon seit Jahren diejenigen Konjunktur, die uns erklären, warum wir Russland brauchen: Es geht um vitale westliche wirtschaftliche Interessen. Und gemessen an deren Bedeutung spielt ein in der Psychiatrie gequälter Unschuldiger mehr oder weniger eben nicht mal eine Nebenrolle.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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