DIE STIMMEN DER ANDEREN
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■ The Atlantic (USA)

Experimentieren mit der Todesstrafe

In einer perfekten Welt hätte die Exekution von Troy Davis am Mittwochabend in Georgia eine neue Ära eingeleitet in Amerikas grimmiger Geschichte der Todesstrafe. Es hätte die Strafgerichtsbarkeit aus ihrem selbstzufriedenen Elfenbeinturm gejagt und sowohl die Regierung als auch die Regierten dazu gezwungen, sich mit der hässlichen Wahrheit der Todesstrafe in den USA im 20. Jahrhundert zu konfrontieren. In einer perfekten Welt hätte sie folgende Frage auf Platz eins der politischen Debatte und des Supreme Courts katapultiert: Wie viele Gesetzesbrüche müssen wir erlauben oder tolerieren, wie viele berechtigte Fragen müssen in der Todeszelle bleiben, bevor wir entweder das System reparieren oder mit dem Rumexperimentieren aufhören?

Wenn der Staat Menschen umbringt, deren Schuld ernsthaft in Zweifel steht, wenn der Staat die tötet, denen er kein faires Strafverfahren gewährt hat, dann handelt er nicht nur gegenüber dem Einzelnen ungerecht, verletzt Gesetze und Verfassung. Er höhlt auch die Legitimität der Todesstrafe selbst aus, denn die bezieht ihre zivile und moralische Stärke von der Erzählung, dass sie zu Recht und dass sie verlässlich angewandt wird. Ist jedoch unser Vertrauen in diese Glaubwürdigkeit einmal erschüttert – und das sollte es jetzt, nachdem Davis von uns gegangen ist –, dann ist alles, was von der Todesstrafe übrig bleibt, die staatsfinanzierte Vergeltung und die „Schlinge“ des Henkers.

■ Washington Post (USA)

„Wahrscheinlich“ reicht nicht

Die Todesstrafe ist ein barbarischer Anachronismus, ein krudes Instrument der Rache und nicht der Gerechtigkeit. Die meisten Länder haben sie schon längst abgeschafft. Dieses Land sollte sie jetzt abschaffen.

Es war falsch, dass der Bundesstaat Georgia Troy Anthony Davis, der des Mordes verdächtigt wurde, hingerichtet hat. Genauso wie es falsch war, dass Texas wenige Stunden zuvor den rassistischen Mörder Lawrence Russell Brewer exekutiert hat.

Das zu schreiben fällt mir schwer, denn wenn irgendwer die volle Dosis Gift verdient, dann Brewer. Er war ein bekennender weißer Rassist, der gemeinsam mit zwei Komplizen wegen des Mordes an dem Afroamerikaner James Byrd Jr. verurteilt wurde. Sie hatten Byrd mit dem Auto mitgenommen, ihn zusammengeschlagen und ihn schließlich umgebracht, indem sie seine Knöchel an die Ladefläche ihres Pick Ups fesselten und ihn über zwei Meilen mitschleiften. Als die Polizei Byrds Leiche fand, war sie in Stücke gerissen und ihr fehlte der Kopf. (…)

Bei Davis handelt es sich um eine gemischte Angelegenheit. Ich kann die Tatsache nicht übergehen, dass kein einziger der vielen Richter, die diesen Fall untersucht haben, einen wirklichen Missbrauch des Justizsystem festgestellt hat. Das legt für mich nahe, dass Davis wahrscheinlich schuldig war.

Aber „wahrscheinlich“ genügt nicht in einem Mordverfahren – und deshalb ist die Todesstrafe als praktische Angelegenheit beschädigt. Jemand, der zu Unrecht eingesperrt wird, kann immer noch wieder entlassen werden, der Tod jedoch – das ist banal – ist irreversibel.

■ New Y ork Times (USA)

Und der Supreme Court schweigt einfach

Das eigentliche Verbrechen von Mittwochnacht war das absolute Schweigen des Supreme Courts der Vereinigten Staaten von Amerika. Während die ganze Nation wartete, tat das Oberste Gericht 203 Minuten nach der vorgesehenen Zeit der Exekution gar nichts. Oder nichts, das irgendjemand hätte sehen können.

Dabei hätten wir nicht viel gebraucht. Selbst ein Ein-Satz-Statement hätte gereicht. Eine simple Anerkenntnis, dass das Gesetz für Menschen und nicht für die Gerichte gemacht ist, hätte gereicht.

Das dreistündige Schweigen des Gerichts – das vielleicht einer internen Diskussion der neun Richter geschuldet ist oder einem Verfahrensproblem oder ein gut gemeinter Versuch war, einen Konsens zu erreichen –, es offenbart ein spektakuläres Versagen. Heute kann es sich kein Bereich der Regierung leisten, sich über einen ganzen Abend hinweg hinter geschlossenen Türen zu verstecken.

Der Supreme Court hat am Mittwoch die Gelegenheit verpasst, die amerikanische Öffentlichkeit daran zu erinnern, warum die Justiz blind sein muss, hingegen die Richter nicht blind sein dürfen gegenüber den Bedürfnissen der Bevölkerung – und einem des Mordes Angeklagten, der stirbt, ohne Gründe oder Antworten erhalten zu haben.

Quelle: www.atlantic.com, washingtonpost.com, newyorktimes.com