„Syrien gehört vor Gericht“

VÖLKERRECHT Wenn der UN-Sicherheitsrat blockiert ist, kann allenfalls die Generalversammlung einer Intervention im Land von Assad das Wort reden

■ lehrt Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Bremen. Fischer-Lescano ist geschäftsführender Direktor des Zerp (Zentrum für Europäische Rechtspolitik: www.zerp.de).

INTERVIEW CHRISTIAN SEMLER

taz: Herr Fischer-Lescano, in der Öffentlichkeit wird die Frage aufgeworfen, ob es angesichts der Massaker des syrischen Präsidenten am eigenen Volk nicht notwendig wäre, notfalls auch unter Einsatz militärischer Mittel international gegen Assad vorzugehen. Was sind die Voraussetzungen eines solchen Einsatzes, und wäre es möglich, ihn auch ohne die Zustimmung des UNO-Sicherheitsrats durchzuführen? Ist der Einsatz im Kosovo 1999 rechtlich gesehen vergleichbar?

Andreas Fischer-Lescano: Der Vergleich mit der Kosovo-Intervention ist doppelt problematisch. Faktisch sind die Ausgangssituationen kaum vergleichbar, und rechtlich war die Kosovo-Intervention äußerst fragwürdig. Denn es gibt nur zwei völkerrechtlich anerkannte Ausnahmen vom Gewaltverbot. Entweder muss eine Selbstverteidigung vorliegen, oder der Einsatz muss auf der Grundlage eines Mandats nach Kapitel VII der UN-Charta stattfinden. Andere Rechtfertigungsgründe gibt es im Völkerrecht nicht.

Bei einem Veto ist das System der UNO aber blockiert.

Das ist in der UN-Charta so angelegt und hat eine wichtige Funktion, indem ein Zwang zur politischen Verhandlung, wenn auch nur unter den Vetomächten, begründet wird. Das kann aber genau in das Dilemma führen, dass die UNO nicht handeln kann, obwohl es offensichtlich ist, dass die Menschenrechte systematisch verletzt werden. Die rechtliche Konsequenz ist dann paradox: Man muss unter Umständen zum Schutz der Menschenrechte das Recht brechen. Eine solche Auflösung des Zielkonflikts ist selbst wiederum höchst problematisch. In jedem Fall muss es Kontrollinstanzen geben, die verhindern, dass eine Umgehung des Sicherheitsrats zur Regel wird. Wichtig ist aber auch, dass ein Bypass zum Friedenssicherungssystem der Vereinten Nationen verhindert wird und nicht die Koalitionen der Willigen außerhalb des UN-Systems auf eigene Fast losziehen, um die Menschenrechte, oder das was sie dafür ausgeben, militärisch durchzusetzen. Um sicherzustellen, dass die relevanten Entscheidungen weiterhin im Rahmen der Vereinten Nationen getroffen werden, sollte man an die „United for Peace“-Resolution anknüpfen. Das würde bedeuten: Wenn der Sicherheitsrat blockiert ist, kann die Generalversammlung einspringen und einen Mehrheitsbeschlusses im Hinblick auf notwendige Maßnahmen zum Menschenrechtsschutz fassen.

Ein solcher Beschluss könnte die Grundlage militärischer Maßnahmen sein?

Auch das ist nicht unbestritten, hätte aber eine legitimatorische Kraft für eine Intervention in Syrien. Eine solche Intervention wird nicht die Form eines Einmarschs nach Damaskus haben dürfen. Ein Regimewechsel durch Militärgewalt von außen darf nicht das Ziel sein. Das wäre rechtlich nicht erlaubt. Den syrischen Oppositionskräften wäre aber schon sehr geholfen damit, wenn die ökonomischen Sanktionen, die Reisebeschränkungen und das Waffenembargo verschärft würden. Zudem werden Maßnahmen zu ergreifen sein, um Zivilisten und desertierende Soldaten zu schützen. Die von der syrischen Opposition geforderte Einrichtung von Schutzzonen scheint hier ein sinnvoller Weg. Eine solche Schutzzone könnte entweder ein Gebiet sein, in dem derzeit besonders viele Leute umgebracht werden – davon gibt es mehrere –, wobei nichts gegen mehrere Schutzzonen spricht. Oder die Schutzzone kann ein Gebiet sein, in das Personen flüchten können, die verfolgt werden. Dabei wird freilich auch gegebenenfalls mit militärischer Gewalt sicherzustellen sein, dass die syrischen Machthaber das Betreten der Schutzzonen nicht in ähnlicher Weise zu verhindern wissen wie derzeit die Flucht in die Türkei.

Wie beurteilen Sie die Doktrin von der „Resonsibility to protect“? Ist sie eine Wende im Völkerrecht, die auch im Fall Syriens bedeutsam wäre?

Die Responsibility to protect ist in rechtlicher Hinsicht keine explizite Wende. Sie gibt dem Faktum einen Namen, dass es den Staaten obliegt, die Menschenrechte zu schützen, und dass es Situationen gibt, in denen diese Schutzverantwortung auf das System der Vereinten Nationen übergehen kann. Wobei die offene Frage bleibt: Wer schützt uns eigentlich vor den Beschützern? Das System der Vereinten Nationen bedarf dringend einer weiteren Verrechtlichung, die Einhaltung der Menschenrechte auch durch die Organe der UN muss durch den Internationalen Gerichtshof stärker als bislang kontrolliert werden können.

Ist der „Fall Assad“ vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu verhandeln?

Wenn nur ein Teil dessen zutrifft, was in den Medien berichtet wird, hat man es in Syrien mit massiven Menschenrechtsverletzungen zu tun, die den völkerstrafrechtlichen Tatbestand „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ erfüllen. Der „Fall Syrien“ wird daher vor dem Strafgerichtshof zu verhandeln sein. Auch hierfür ist ein Beschluss des Sicherheitsrats nötig. Ein solches Verfahren dürfte sich nicht auf Baschar al-Assad beschränken. Auch den Spitzenfunktionären der Baath-Partei wird der Prozess zu machen sein.

Kann mit der Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte gegenüber der Führung von Staaten politisch Schindluder getrieben werden?

Wenn man zur Durchsetzung der Menschenrechte einen Gewalteinsatz am UN-System vorbei rechtlich gestattet, können die Militärmächte das, was sie für ihr Verständnis der Menschenrechte ausgeben, in den entlegensten Winkeln der Welt mit Militärgewalt durchsetzen. Die Menschenrechte würden zu einem Legitimationstitel für entgrenzte Gewaltanwendung. Darum muss man sicherstellen, dass über einen Militäreinsatz zum Schutz der Menschenrechte im UN-System entschieden wird. Ein Handeln im Rahmen der UN ist nicht frei von Legitimationsproblemen. Es ist aber derzeit die beste der schlechten Lösungen. Ist der Sicherheitsrat blockiert, sollte im äußersten Fall die Generalversammlung der Responsibility to protect nachkommen.