Geht es den Vätern zu gut?

Gleichberechtigung Viele Väter verbringen wenig Zeit mit ihren Kindern. Sie toben sich im Beruf aus. Am Vatertag werden sie trotzdem geehrt

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagnachmittag. Wir wählen interessante Antworten von Leserinnen und Lesern aus und drucken sie in der sonntaz. www.taz.de/streit

Ja

Ulrike Brockhaus, Psychologin, Verbandsrätin beim Verband der Frauennotrufe

Ohne Frage, auch Männer haben es schwer. Doch als Väter machen sie es sich en gros viel zu leicht: Nach wie vor sind meist die Mütter mit Kindern, Haushalt und (Teilzeit-)Beruf die vielfach Belasteten. Ökonomische Abhängigkeit und niedrigere Renten sind negative Folgen für die Frauen. Damit nicht genug. Jede Vierte wird Opfer von Gewalt durch ihren (Ex-)Lebensgefährten. Auch miterlebende Kinder werden dadurch nachhaltig traumatisiert. Rechtliche Konsequenzen? Kaum. Wenn doch, wird der Mann gerichtlich der Wohnung verwiesen und ihm der Kontakt untersagt – gleichzeitig jedoch bekommt er ein Umgangs- oder Sorgerecht zugesprochen. Die Verantwortungsübernahme und Aufarbeitung der eigenen Gewalttätigkeit ist dazu nicht vonnöten.

Edith Schwab, Vorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter

Der 1998 amtierende Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig bezeichnete das Kindschaftsreformgesetz einmal als „Vätermotivationsgesetz“. Das Interesse, Väter stärker in Bezug auf die kindlichen Belange in die Verantwortung zu nehmen, führte dazu, dass seither Väter „gepampert“ und als „neue“ Väter benannt werden, so sie Interesse an ihren Kindern bekunden. Allerdings: Nach wie vor sind 90 Prozent der Alleinerziehenden Mütter. Väter haben zwar das Recht auf Umgang mit ihrem Kind, sie sind hierzu jedoch nicht verpflichtet, wie das Bundesverfassungsgericht urteilt. Auf der anderen Seite führt das gemeinsame Sorgerecht zu erheblichen Einschränkungen der Lebenswirklichkeit der Mütter. Ohne Zustimmung des Vaters des Kindes verliert sie ihre Freizügigkeit. Auch Verantwortungsübernahme durch die notwendige materielle Ausstattung der Kinder in Form von ausreichenden Unterhaltszahlungen ist oftmals keine Selbstverständlichkeit. Wunsch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander.

Ariane Brenssell, Psychologieprofessorin an der Fachhochschule Ludwigshafen

Die Frage, ob es Vätern zu gut geht, impliziert, dass es ihnen einmal schlechter ging. Es ist müßig, dies zu diskutieren. Aus der Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen kann ich die Frage jedoch nur bejahen, vor allem in Hinblick auf das Sorge- und Umgangsrecht. Natürlich ist das gemeinsame Sorgerecht erstrebenswert, in der Praxis mit gewaltbetroffenen Frauen wird jedoch deutlich, dass diese rechtliche Besserstellung der Väter als Hebel benutzt wird, um Verfügungsgewalt über Frauen zu erhalten. Das gemeinsame Sorgerecht hebelt das Gewaltschutzgesetz wieder aus. Das Gewaltschutzgesetz kann gewalttätigen Männern den Umgang mit den Frauen verbieten. Sind Kinder da, zwingt das vom Vater eingeklagte Sorgerecht sie wegen der Kinder allerdings wieder dazu. Schutz vor sexualisierter Gewalt und Kindeswohl werden so gegeneinander ausgespielt. Zum Wohl der Väter.

Rashid Kern, 36, Designer, zwei Kinder, hat die Frage auf taz.de kommentiert

Machen wir uns nichts vor: Wir Väter setzen Kinder in die Welt, aber erziehen lassen wir sie von Frauen. In der Kita – Erzieherinnen, in der Schule – Lehrerinnen, zu Hause – die Mutter. Wenn was schiefgeht, wenn die Kinder frech, faul und dumm sind, wissen wir deshalb, wer schuld ist: die Mutter, Lehrerin, Erzieherin. Das lese ich in den Medien und höre es von der Familienministerin. Als halb-orientalisch sozialisierter Mann wusste ich das schon vorher. Insofern bin ich froh, dass zumindest dieser Kulturtransfer vom Orient in den Okzident funktioniert hat. Damit es mir hier gut geht.

NEIN

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, 59, FDP, Bundesjustizministerin

Beim Sorgerecht hatten Männer bisher das Nachsehen. Lange konnten sie überhaupt kein Sorgerecht für nichteheliche Kinder bekommen. In meiner ersten Amtszeit brachte ich eine Reform auf den Weg, um Vätern die Mitsorge für nichteheliche Kinder zu ermöglichen. Doch die Mutter behielt ein echtes Vetorecht. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass Mütter nur widersprechen, wenn es dafür mit Blick auf das Kindeswohl gute Gründe gibt. Diese Annahme war falsch. Oft liegt es auch am Verhältnis der Eltern zueinander oder an der Angst vor Bürokratie. Dann bleiben Väter vom Sorgerecht ausgeschlossen, obwohl ihr Einsatz gut für das Kind wäre. Darum ist klar: Für Väter muss es einen Weg geben, auch ohne Zustimmung der Mutter an das Sorgerecht zu kommen. Das sehen auch EGMR und Bundesverfassungsgericht so. Mein Reformmodell vermeidet unnötige Gerichtsverfahren auf dem Rücken der Kinder: Erst bekommt die Mutter das Sorgerecht. Will der Vater Mitverantwortung übernehmen, entsteht das gemeinsame Sorgerecht dann, wenn die Mutter acht Wochen lang keine Bedenken äußert. Nur wenn die Mutter ausdrücklich widerspricht, muss der Vater zum Familiengericht gehen. Beim Sorgerecht geht es nicht um den Punktesieg zwischen Vater um Mutter, sondern um das Beste für das Kind.

Mathieu Carrière, 60, Schauspieler, kämpft für das Sorgerecht für Väter

Mit dem Urteil zum Sorgerecht im Juli 2010 hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in den Arsch getreten – mit 61-jähriger Verspätung. Das Grundgesetz fordert seit 1949 in Artikel 6, die Kinder unverheirateter Eltern denen verheirateter Eltern umgehend gleichzustellen. Das Urteil ist ein Befehl, die Grundrechte der Kinder zu schützen. Es stellt klar, dass seit 61 Jahren die Grundrechte vieler Trennungskinder mit Füßen getreten werden. Seit fast einem Jahr wurstelt die Bundesjustizministerin an einem Gesetzesentwurf, der das Urteil endlich umsetzen soll. Statt „wursteln“ könnte man auch sagen: Befehlsverweigerung!

Volker Baisch, 44, Chef der Väter gGmbH, berät Firmen zur Familienfreundlichkeit

Ähnlich wie Frauen haben es viele Männer nicht leicht, Familie und Beruf zu verbinden. Frauen tun sich schwer, nach einer Pause wieder voll in den Beruf einzusteigen. Männer hingegen zögern, den Ausstieg zu wagen. Unausgesprochen erwarten Kollegen und Führungskräfte, dass sie für den Beruf immer da sind. Dabei wünschen sich Väter oft mehr Zeit für ihre Familie, sie wollen flexible Arbeitszeiten, freie Tage und Elternzeit. Wenn Frauen diesen Wunsch äußern, akzeptieren das die Unternehmen meistens. Bei Männern zögern sie. Feste Rollenbilder sind eben auch für Väter ein Problem, und es ist schwer, alte Vorstellungen aufzubrechen.

Thomas Gesterkamp, 53, schreibt als Journalist und Buchautor zur Väterrolle

Die Väter stecken in einem Dilemma: Die weiblichen Ansprüche an ihre fürsorgliche Rolle sind stark gestiegen, die Ansprüche an die Ernährerrolle nicht bei allen Frauen im gleichen Maße gesunken. Die Mehrheit der Väter gibt den Arbeitsmann, ist täglich mindestens zehn Stunden unterwegs, um den größeren Teil des Haushaltseinkommens zu erwirtschaften. Sie führen ein eindimensionales Leben, sind private Zaungäste, die ewigen Praktikanten. Gleichzeitig geben Männer in Umfragen an, die Familie sei ihnen das Wichtigste im Leben. Das ist kein Widerspruch zu ihrem Verhalten. Väter betrachten ihre Erwerbsarbeit als männliche Form der Sorge.