Debatte Merkels Eurokurs: Der pure Wahnsinn

Die ganze Welt redet auf Merkel ein, endlich aktiv zu werden. Doch die wartet weiter ab. Politisch ist das rational, ökonomisch ist es nicht nachzuvollziehen.

Merkel bleibt stur bei ihrer Linie. Bild: dpa

Was denken eigentlich die deutschen Wähler über die Eurokrise? Darüber muss man nicht rätseln, da gibt es gute Daten. ARD und Infratest dimap haben in ihrem Deutschlandtrend vom November gleich mehrere Fragen zur Eurokrise gestellt.

Überraschend ist vor allem ein Ergebnis: Die Deutschen wollen die D-Mark nicht zurück; noch erstaunlicher: eine knappe Mehrheit findet es richtig, dass der Euro eingeführt wurde. Dies ist eine bemerkenswerte Karriere für den "Teuro", der anfangs so unbeliebt war. Im Rückblick hat die D-Mark offenbar an Attraktion verloren.

Dazu passt ein weiteres Ergebnis des Deutschlandtrends: 56 Prozent der Deutschen meinen, dass die Bundesregierung "in der Euro- und Schuldenkrise bisher die richtigen Entscheidungen" getroffen hat. Als kleiner Zwischenstand lässt sich also festhalten: Die Deutschen wollen den Euro retten - und sie finden, dass sich die Regierung Merkel nicht genug anstrengt.

Worauf wartet die Frau?

Dies wirft sofort die Frage auf, warum die Kanzlerin nicht den Wünschen ihres Wahlvolks folgt - sondern passiv darauf wartet, dass die Eurokrise noch schlimmer wird. Schließlich will die Frau wiedergewählt werden!

Doch was zunächst wie ein Widerspruch wirkt, enthüllt eine ganz eigene Logik, wenn man die weiteren Fragen des Deutschlandtrends studiert. Da stellt sich nämlich heraus, dass die Wähler ziemlich zufrieden mit der Kanzlerin sind. 58 Prozent finden, dass "Angela Merkel beim Eurogipfel in Brüssel die deutschen Interessen erfolgreich vertreten hat".

Bei so viel Zuspruch ist zu verstehen, dass Merkel stur bei ihrer Linie bleibt. Fragt sich nur noch, wie das Wähler-Lob mit der Wähler-Kritik zusammenpasst, die Bundesregierung hätte die falschen Entscheidungen getroffen. Antwort: Es passt nicht zusammen. Nicht Merkel agiert widersprüchlich - sondern die Bevölkerung.

Die Eurokrise findet für die meisten Deutschen derzeit nur in der Zeitung statt. In ihrem Alltag ist der nahende Euro-Crash nicht zu erleben. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Löhne steigen, das Weihnachtsgeschäft läuft bestens, und die Steuereinnahmen sprudeln. Stell dir vor, es ist Krise - und keiner hat sie bisher erlebt.

"Ich persönlich bin von der Krise nicht betroffen", sagen denn auch 53 Prozent der Befragten. Gleichzeitig ist aber fast allen Deutschen klar, dass dieser erfreuliche Zustand bald enden dürfte. 82 Prozent glauben, dass "der schlimmste Teil der Euro- und Schuldenkrise uns noch bevorsteht".

Dieser Pessimismus deckt sich mit den Prognosen der OECD, die in dieser Woche veröffentlicht wurden. Die deutsche Wirtschaft schrumpft bereits - und sie wird auch im nächsten Quartal ein Minus einfahren. Es wird also nicht mehr lange dauern, bis die Zahl der Arbeitslosen steigt.

Der Euro-Crash und die Elbflut

Trotzdem tut Merkel nichts, um die Eurokrise abzukürzen. Zwar trifft sie sich im Wochenrhythmus mit den Granden der anderen Länder - und tritt auch ständig ans Rednerpult des Bundestages, um eine weitere Regierungserklärung abzugeben. Aber die Stichworte bleiben stets dieselben, auch an diesem Freitag: Schuldenbremse und schärfere Sanktionen für Haushaltssünder. Wie immer man diese Ideen konkret bewertet - selbst die größten Fans der Sparpolitik müssen zugeben, dass sie frühestens in einem Jahr wirken wird. "Ende 2012" lautet der Zeithorizont, den Finanzminister Schäuble gern nennt. Die Eurokrise eskaliert aber jetzt.

Es funktioniert nie, auf eine kurzfristige Krise mit langfristigen Sparprogrammen zu reagieren. Das wird auch die Kanzlerin wissen. Zu vermuten ist daher, dass sie die Euro-Turbulenzen bewusst aussitzt - und sogar vorsätzlich verschärft. Sie wartet, bis die Krise in Deutschland eintrifft.

Ökonomisch ist das wahnsinnig - und politisch ist es rational. Denn es bringt keine Stimmen, eine Krise zu verhindern, die die Bevölkerung höchstens abstrakt wahrnimmt. Als Krisenmanager wird nur gefeiert, wer aufrecht durchs Schlamassel watet. Das ist wie bei der Elbflut im Wahljahr 2002: Es machte sich für den damaligen Kanzler Gerhard Schröder bestens, dass er breitbeinig und in Gummistiefeln die matschigen Deiche abmarschieren konnte. Es hätte ihm jedoch keine einzige Stimme gebracht, wenn er im Vorfeld ständig gewarnt hätte, dass nicht zu nah an der Elbe gebaut werden darf.

Das gleiche Szenario ist in diesen Tagen auf der Klimaschutzkonferenz im südafrikanischen Durban zu besichtigen. Niemand zweifelt daran, dass sich die Erde dramatisch erwärmt. Aber bisher ist dies für viele Weltbürger nur angelesenes Wissen, nicht erlebte Realität. Also wird die Konferenz scheitern, wie schon viele Konferenzen vor ihr.

Investoren wetten gegen Merkel

Wenn Merkel also erst agieren sollte, wenn sich die Krise auch für die Bundesbürger zuspitzt: Was wird sie dann entscheiden? An den Finanzmärkten laufen dazu längst Wetten. Die meisten Anleger glauben, dass am Ende die Europäische Zentralbank (EZB) eingreifen wird, indem sie unbegrenzt Staatsanleihen aufkauft, um Italien und Spanien vor der Pleite zu bewahren.

Jedes Indiz, das auf diese Lösung hindeutet, wird jedenfalls euphorisch gefeiert. So legten die deutschen Aktien kräftig zu, weil die großen Notenbanken am Mittwoch bekannt gaben, dass sie die Märkte mit Geld fluten würden. Eigentlich war diese Maßnahme weder neu noch besonders einschneidend: Es ging nur darum, die Banken mit den nötigen Devisen zu versorgen.

Durch die Krise misstrauen die Institute einander so stark, dass sie einander keine Gelder mehr leihen. Deswegen werden im Euroraum die Dollar knapp - und über die Zentralbanken wieder zurückgeschleust. Das ist eine rein technische Maßnahme, die die eigentliche Eurokrise überhaupt nicht löst. Aber das war den Finanzmärkten egal. Die Anleger nahmen vor allem wahr: Die EZB wird endlich aktiv.

Die Investoren dürften mit ihren Wetten richtig liegen. Die Notenbank wird eingreifen. Aber vorher muss die Krise für die Bundesbürger spürbar sein. Es lohnt sich also, weiterhin den Deutschlandtrend zu beobachten.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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