JANNIS PAPADIMITRIOU ÜBER DEN WAHLAUSGANG IN GRIECHENLAND
: Die Chance der Linken

Wenn die Mittelklasse verschwindet, dann müssen auch ihre politischen Vertreter ein Schattendasein fristen. Mit dieser Wahrheit sind in Griechenland seit gestern die beiden großen Traditionsparteien sehr deutlich konfrontiert.

Die historische Wahlschlappe für Nea Dimokratia und Pasok ist nicht nur eine Verzweiflungsreaktion der Wähler auf die Steuererhöhungen und Sozialkürzungen der Krisenjahre. Viele Griechen rechneten ganz grundsätzlich mit dem seit Jahrzehnten regierenden Zweiparteiensystem ab – was noch viel deutlicher hätte ausfallen können: Immerhin scheiterten vier Splitterparteien relativ knapp an der Dreiprozenthürde.

Das historische Votum der Wähler hat auf der einen Seite ein hässliches, ein gefährliches Gesicht: Die rechtsextreme Schlägertruppe „Goldene Morgenröte“ zog erstmals ins Parlament ein. Dass deren Parolen bei einem Teil der von Wirtschaftskrise und Spardiktat frustrierten Griechen verfing, ist gerade auch vor dem Hintergrund der Geschichte des Landes und der Militärdiktatur (1967–1973) ein großes Warnsignal. Eines, das nun von den demokratischen Parteien ein gemeinsames Vorgehen verlangt – trotz aller sonstigen Differenzen. Denn die Neonazis haben nicht nur Journalisten bedroht und werden für rassistische Übergriffe verantwortlich gemacht – sie sind eine Gefahr für die griechische Demokratie insgesamt.

Der eigentliche Sieger der Wahl aber heißt Alexis Tsipras, ist Vorsitzender der „Radikalen Linken“ (Syriza) und künftiger Oppositionsführer, vielleicht sogar Koalitionspartner. Anders als der Name vermuten lässt, ist die „Radikale Linke“ relativ gemäßigt und viel offener als etwa die orthodoxe Kommunistische Partei KKE. Selbst eine vorübergehende Regierungsbildung mit den Konservativen wäre Syriza zuzutrauen.

Doch bevor sich das linke Bündnis auf eine solche Vernunftehe einlässt, sollte es erst einmal den Herzen vieler folgen und die Möglichkeiten einer Koalition aller linken politischen Kräfte ausloten. Im Moment ist ein solches Bündnis vor allem deswegen nicht möglich, weil die infrage kommenden Parteien vor lauter Bäumen oft den Wald nicht sehen wollen, weil sie sich in Streitigkeiten und Personaldebatten verlieren.

Was wäre von einer solchen Regierung zu erwarten? Unter Führung von Syriza würde sie vor allem auf Konfrontationskurs zu den internationalen Geldgebern Griechenlands gehen. Eine Vorahnung konnte man im Wahlkampf bekommen: Die Drohung des deutschen Finanzministers, die Griechen „hätten mit Konsequenzen zu rechnen“, falls sie nicht das gewünschte Wahlergebnis lieferten, war eine Steilvorlage für Tsipras: „Wir antworten Herrn Schäuble, dass Griechenland eine neue Regierung bekommt. Das Land wird von Menschen regiert werden, die nicht auf den Bestechungslisten von Siemens stehen.“

Nach den Wahlen liegt ein solcher Wechsel nun tatsächlich im Bereich des Möglichen. Es ist an den linken Parteien, diese Chance nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. Das wäre nicht nur im Sinne der Griechen. Es wäre auch das beste Mittel gegen einen weiteren Aufstieg der Neonazis.