CHRISTIAN RATH ÜBER DIE REHABILITIERUNG VON VERURTEILTEN SCHWULEN
: Kein Affront gegen Karlsruhe

Was zwei Menschen einvernehmlich sexuell miteinander treiben, geht nur sie etwas an und nicht den Staat. Eine bestimmte sexuelle Orientierung zu bestrafen, das wäre in freiheitlichen Demokratien heute undenkbar.

Doch bis 1969 galt Sex zwischen Männern als „widernatürliche Unzucht“ und war strafbar. Dieser Strafparagraf 175 war aus heutiger Sicht eindeutig verfassungswidrig. Es gibt keinen billigenswerten Grund, die Persönlichkeit von Menschen so massiv einzuschränken. Es ist daher nur konsequent, wenn Zehntausende Strafurteile der 50er und 60er Jahre heute aufgehoben und die Betroffenen rehabilitiert, eventuell sogar entschädigt werden sollen.

Es wäre für die Ausgegrenzten und Stigmatisierten natürlich besser gewesen, wenn die Rehabilitation bereits 1969 erfolgt wäre. Doch damals galt schon die Streichung von Paragraf 175 als großer Erfolg. Heute, mehr als 40 Jahre später, wirkt eine Rehabilitierung – die eher von Verbänden und Parteien als von Betroffenen betrieben wird – ziemlich symbolisch. Aber es ist ein richtiges Symbol.

Auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957 spricht nicht gegen eine Rehabilitierung. Damals hat Karlsruhe entschieden, dass Paragraf 175 nicht verfassungswidrig ist. „Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz“, hieß es damals. Das frisch gebildete Karlsruher Gericht hatte damals die Bedeutung der Grundrechte leider noch nicht ausreichend in den Mittelpunkt seiner Rechtsprechung gestellt. Dass die Entscheidung von 1957 ein zeitbedingtes Fehlurteil war, sehen heute sicher auch alle Verfassungsrichter so. Es ist daher kein Affront gegen Karlsruhe, wenn Paragraf 175 jetzt vom Bundestag als verfassungswidriges Unrecht gebrandmarkt würde.

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