BARBARA OERTEL ÜBER DIE ANHALTENDEN PROTESTE IN RUSSLAND
: Putin wird nervös

Auch wenn es statt des angekündigten „Marsches der Millionen“ am Ende „nur“ bis an die Hunderttausend waren: Die Proteste markieren eine tiefe Zäsur in der russischen Gesellschaft. Da nützt es auch nichts, wenn offizielle Stellen die Zahlen der Teilnehmer der Demonstration am Unabhängigkeitstag herunterrechnen. Oder Pessimisten gebetsmühlenartig darauf hinweisen, dass Moskau eben nicht repräsentativ für Russland ist und die Bevölkerung auf dem Land Putin mehrheitlich noch immer die Stange hält. Tatsache ist: Das Regime Putin ist angezählt.

Das scheint mittlerweile auch den Verantwortlichen zu dämmern. Ihre Verdrängung der neuen Realität funktioniert nicht mehr. Wie sonst ist das Vorgehen der Staatsmacht gegen führende Oppositionelle in Form von Hausdurchsuchungen und Festnahmen am Montag zu erklären? Oder die Verschärfung des Versammlungsrechtes, das Demonstrierende mit horrenden Geldstrafen belegt? So reagiert nur ein Regime, das glaubt, seine Macht nur noch mit immer repressiveren Maßnahmen gegenüber Andersdenkenden sichern zu können.

Dennoch: Zu glauben, dass das demokratisch nicht legitimierte sechsjährige Mandat von Wladimir Putin durch den Druck der Opposition schon bald oder auch nur vorfristig beendet werden kann, ist bislang nicht mehr als Wunschdenken.

Viele Menschen in Russland sind „führerfixiert“. Das ist auch nicht anders, wenn es um eine politische Alternative zu den aktuellen Machthabern geht. Eine Person jedoch, die die Oppositionskräfte bündeln könnte, fehlt bislang. Deren Exponenten beschäftigen sich lieber mit sich selbst und ihren eigenen Ambitionen. Die Frage, ob sich das in absehbarer Zeit ändert, können nur Putins Gegner beantworten.