CHRISTIAN RATH ÜBER VERFASSUNGSSCHUTZ UND RADIKALE MUSLIME
: Fragwürdiger Islamisten-Check

Eine derartige Denunziationsanleitung ist gefährlich und wird zurecht kritisiert

Der Versuch wirkt hilflos, und er ist kontraproduktiv. Der niedersächsische Verfassungsschutz hat in seiner Broschüre „Radikalisierungsprozesse im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus“ eine Checkliste mit „Radikalisierungsmerkmalen“ aufgestellt. Sie beginnt mit „zunehmend strengere Religionsausübung“ und endet nach 21 Punkten mit „veränderte finanzielle Situation“.

Nun ist die Frage nach Radikalisierungsmerkmalen nicht von vornherein unberechtigt. Wenn sich islamistischer Terror vornehmlich gegen „weiche Ziele“ wie öffentliche Verkehrsmittel richtet und Selbstmordattentäter dabei den eigenen Tod in Kauf nehmen, dann können sich die Sicherheitsbehörden nicht auf die nachträgliche Aufklärung solcher Anschläge oder den Schutz von Anschlagszielen beschränken.

Zwar lässt sich in vielen Fällen einer hochgefährlichen Radikalisierung im Nachhinein feststellen, dass es sichtbare Verhaltensänderungen gegeben hat. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass alle Muslime, die plötzlich religiöser werden und ihre Lebensgewohnheiten umstellen, auch potenzielle Terroristen sind. In aller Regel sind sie es nicht.

Und genau deshalb ist eine derartige Denunziationsanleitung auch gefährlich und wird zu Recht kritisiert. Indem der Verfassungsschutz schon die Hinwendung zu einem besonders strengen Islam als Anzeichen für potenziellen Terrorismus thematisiert, verstärkt er das Misstrauen und die Ausgrenzung des Islam als Ganzes. Derartige Broschüren werden eben nicht nur von Radikalen, sondern auch von vielen anderen Muslimen registriert und als diskriminierend wahrgenommen. Da aber ein Gefühl des Nicht-Dazugehörens oft eine wichtige Ursache für Radikalisierungsprozesse ist, sind solche Islamisten-Checklisten schädlich, vor allem wenn sie auch noch veröffentlicht und an Lehrer und Sozialarbeiter verteilt werden.

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