Das Schlagloch: Die Nummer am Hals

Ob in Antwerpen, Frankfurt oder Hamburg, der Sklavenhandel bei uns blüht. Die Journalistin und Autorin Chika Unigwe erzählt Geschichten von verkauften Frauen.

Heutige Sklaven müssen nicht mehr Lasten tragen sondern Lust befriedigen. Bild: ap

Als sie die Geschichte schon einige Male erzählt hat, an aufeinanderfolgenden Abenden, eine Geschichte, die keiner zu erzählen genötigt sein sollte, geschweige denn zu erleben, bricht Chika Unigwe in Tränen aus.

Sie hat gerade einen nüchternen Raum in Antwerpen beschrieben, in dem eine ungewöhnliche „Auktion“ stattfindet. Junge Afrikanerinnen, überwiegend aus Nigeria, werden vor den abschätzenden Blicken von Puffmüttern und Zuhältern abtaxiert, nackt, eine Nummer um den Hals, um an ein Etablissement oder eine Bar oder einen Klub verschachert zu werden. Chika Unigwe will gerade hinzufügen, was sie jedes Mal hinzufügt, nämlich dass die derart erniedrigten Frauen keine andere Hoffnung haben, als gekauft zu werden, da überwältigt sie der Gedanke, dass mitten in Europa, keine fünfzig Kilometer von der „EU-Hauptstadt“ Brüssel entfernt, wie einst auf den Sklavenmärkten von Gorée und Sansibar, der Mensch zur Ware reduziert wird, bewertet nach der Qualität seiner Haut, seiner Zähne, seines Fleischs.

Das ist keineswegs die einzige Geschichte, die Chika Unigwe, Journalistin und Romanautorin, zu erzählen weiß. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Thematik des Menschenhandels, sie kennt Frauen, die von einem verliebten Freier der Puffmutter „abgekauft“ wurden für mehrere zehntausend Euro, nur um nach wenigen Monaten einer bürgerlichen Existenz wieder auf den Strich zu gehen, weil sie es nicht aushielten, für 6 Euro die Stunde putzen gehen zu müssen.

„Ein wenig Europa sehen“

Sie hat eine Nigerianerin interviewt, die von ihrem in Aachen lebenden Vater nach Antwerpen geschickt wurde, um „ein wenig von Europa zu sehen“, und schon am ersten Abend von ihrer Tante in einem der Schaukästen im Rotlichtbezirk der Stadt ausgestellt wurde. Ihre vorangegangenen Proteste hatten nichts geholfen, weil selbst der eigene Vater ihr am Telefon erklärte, sie müsse nun Geld verdienen, andere Optionen gebe es nicht. Sie wolle doch nicht arm bleiben. Ihre ältere Schwester hatte zwar Widerstand geleistet, den Vater sogar angezeigt, aber die Polizei hatte eher dem gutsituierten und hervorragend deutsch sprechenden Vater Glauben geschenkt, die Schwester war abgeschoben worden.

Chika Unigwe ist mit einschlägigen Nichtregierungsorganisationen nach Nigeria gereist, um in Schulen aufzuklären, um den weiterhin hell leuchtenden Mythos des gelobten Westens, des Landes von Milch und Honig, zu korrigieren. Doch als sie nach ihrem Vortrag fragte, wer unter den jugendlichen Schülerinnen denn nun eine dubiose Einladung nach Europa annehmen würde, erhoben mehr als die Hälfte im Saal ihre Hand.

Und auf die Frage, ob sie – wenn sie feststellten, dass sie in die Prostitution gezwungen oder getrickst worden seien – die Polizei aufsuchen würden, erklärten alle unisono, das sei ausgeschlossen, sollte ein älteres Familienmitglied involviert sein. Doch genau das ist oft der Fall.

Polizisten spielen gern mit

Die Korruption, das weiß Chika Unigwe nach all ihren Recherchen, durchzieht nicht nur den nigerianischen Staat, sie ist auch in Belgien verbreitet, nicht zuletzt innerhalb des Polizeiapparats. Sie weiß von verhafteten Frauen, die freikamen, weil sie sich mit einem Polizisten später am Abend kostenlos im Hotel trafen oder weil sie ihr gesamtes Geld einem Beamten übergaben, um es nie wieder zurückzuerhalten. „So läuft das“, habe dieser Beamte gesagt, „wie meinst du denn, dass all diese illegalen Frauen es schaffen hierzubleiben?“

Chika Unigwe hat sich schnell gefangen, und sie liest weiter einen Ausschnitt aus ihrem Roman „Schwarze Schwestern“ (Tropen Verlag), der solche und viele andere Geschichten von Not und Zwang und Hoffnung und Täuschung erzählt, von den vielen, die ausziehen, das Paradies zu finden, und in der Hölle landen, Geschichten, die alltäglich auch in Berlin und Hamburg und Frankfurt geschehen, ohne dass die meisten von uns davon erfahren.

Es gibt sie noch, die Literatur, die einem erzählt, was man noch nie gehört hat, was man nicht hören will, die den Geknebelten eine Stimme gibt. Es gibt sie, in Afrika mehr als bei uns, wie wir jedes Mal erfahren können, wenn afrikanische Autorinnen hierherkommen auf Lesereise, wie jene merkwürdige und typisch deutsche Tradition genannt wird, bei der unter minimalistischer Unterstützung eines Mikrofons und eines Glases Wasser Autorinnen und Publikum sich begegnen.

Bomben auf zarte Ohren

Zusammen mit Chika Unigwe trat ein Dichter aus Simbabwe auf, dessen Gedichte als Graffiti an die Wände der Diktatur von Robert Mugabe gesprüht werden: Chirikure Chirikure. Ein Politdichter von schmächtiger Gestalt und gewaltigen Mutes, der wie ein Kobold aufstampft, wenn er in zunehmend wütend werdenden Kaskaden die Aufrüstung der Gewalt anprangert, um in einem finalen Refrain Bomben auf die zarten Ohren der Zuhörerinnen niederprasseln zu lassen. Als er vor einigen Monaten in Harare dieses Gedicht rezitierte und nach dem Auftritt in seinem Wagen losfuhr, löste sich der rechte Vorderreifen ab, allein sein Glück verhinderte einen schweren Unfall – es stellte sich heraus, dass die Muttern gelockert worden waren.

Chirikure Chirikure dichtet in einem Land, in dem es fast keine Verlage und so gut wie keine Buchhandlungen gibt, und selbst wenn es sie gäbe, hätten die Menschen, von denen nur einer von zehn Arbeit hat, kein Geld, sie zu kaufen. Weswegen der Dichter zu seinen Wurzeln zurückfinden muss als Marktbarde und Wortschamane und vor allem als Gewissen einer zutiefst verletzten und zerstörten Gesellschaft.

Und weil man all das spürt, auch als deutscher Zuhörer, prägen sich Zeilen von Chirikure Chirikures Gedicht ein, auch wenn sie auf Mashona, der Hauptsprache Simbabwes, geschrieben sind: Ndio yo: yes yes – der Refrain eines Gedichtes über die ewigen, allgegenwärtigen Jasager, bei dem durch die suggestive Kraft der wiederholten Aufforderung das Publikum irgendwann in die Rolle eines Chors schlüpft. Dieses „yes, yes“ bleibt einem schließlich im Halse stecken, und man ist erstaunt, wie verwerflich das Wort „ja“ klingen kann.

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