„Rumänien ist gespaltener denn je“

REFERENDUM Die große Mehrheit ist über Präsident Basescu zutiefst enttäuscht. Die europäischen Gremien lassen sich dennoch vor seinen Karren spannen

■ ist Kovorsitzende der nach der Revolution von 1989 gegründeten Bürgerechtsgruppe Pro Liga Europa (www.proeuropa.ro). Von 1998 bis 2001 war sie Rumäniens Botschafterin in Finnland und Estland.

INTERVIEW WILLIAM TOTOK

taz: Frau Enache, hat Sie das Scheitern des Referendums zur Amtsenthebung Traian Basescus überrascht?

Smaranda Enache: Nein, das Resultat war zu erwarten. Die Volksbefragung bestätigte nur, dass die überwiegende Mehrheit der Bürger Rumäniens, die an der Abstimmung teilgenommen hat, mit dem derzeitigen Präsidenten zutiefst unzufrieden ist. Traian Basescu hat in Rumänien ein halbautoritäres System durchgesetzt, das zum Auslöser einer fast unerträglichen wirtschaftlichen Krise wurde. Stichworte sind: Vertiefung der sozialen Unterschiede, Disfunktionalität der Justiz, Ausweitung der Korruption, Vetternwirtschaft und politische Cliquenwirtschaft.

Ist Rumänien zu früh in die Europäische Union aufgenommen worden?

Die frühe Aufnahme des Landes, das noch nicht alle Hausaufgaben gemacht hatte, ist meiner Meinung nach nicht das Hauptproblem. Das Problem nach der Aufnahme am 1. Januar 2007 ist das konstante Schrumpfen der demokratischen Standards. Die Europäische Union hat nichts unternommen, um diese schleichende Verschlechterung der allgemeinen Lage zu unterbinden. Die Zivilgesellschaft machte sowohl im Inland als auch in Brüssel auf die demokratischen Defizite aufmerksam. Leider haben die Europäische Kommission und das Europäische Parlament es vorgezogen, sich nur einseitig von der Regierung und den Parteien informieren zu lassen. Die Zivilgesellschaft wurde übergangen. Die politische Elite Rumäniens empfand dies als Freibrief zur fortgesetzten Abwertung demokratischer Gepflogenheiten. Die Folge davon ist die jetzige Krise, auf die in der EU niemand vorbereitet war.

Was haben die europäischen Behörden denn in den Jahren nach der EU-Aufnahme Rumäniens ignoriert?

Nach der Aufnahme 2007 wurden in Rumänien fundamentale Rechte eingeschränkt. Eine ganze Reihe von Verpflichtungen, die zur Grundausstattung der europäischen Wertegemeinschaft gehören, wurden nicht eingelöst. Das Gesetz, das die Gründung neuer Parteien regelt, ist das restriktivste in ganz Europa, es hat die Gründung neuer Parteien verhindert. Eine Regionalisierung wurde nicht durchgeführt, so dass Rumänien ein hyperzentralistischer Staat geblieben ist, bestehend aus Verwaltungseinheiten, den sogenannten Kreisen, die noch aus der Ceausescu-Zeit, aus dem Jahr 1968 stammen.

Hat die Justiz dagegen nichts unternommen?

Die Justiz untersteht permanent der politischen Kontrolle. Die Rückgabe der während der Diktatur enteigneten Besitztümer wird weiter systematisch hintertrieben. Die Lage der Roma ist äußerst prekär, was zu einer massiven Wanderungswelle in Richtung Westen geführt hat. Besorgniserregend ist, dass sich die europäischen Gremien auch jetzt nicht die Mühe machen, sich vor Ort über die tatsächliche politische Sachlage zu informieren. Sie bevorzugen die Auskünfte, die ihnen über Parteikanäle übermittelt werden. Insbesondere über die der Europäischen Volksparteien. Statt sich für eine Korrektur der rumänischen Demokratiedefizite starkzumachen, haben es die Europäische Kommission und das EU-Parlament vorgezogen, im Sinne kleinkarierter, politisch bedingter Gruppeninteressen auf das Referendum störend einzuwirken. Diese Einflussnahme wird die gegenwärtige Krise zusätzlich verlängern.

Wie erklären Sie sich die tiefe, scheinbar unüberwindliche Spaltung der rumänischen Gesellschaft?

Dafür ist zum Großteil Traian Basescu verantwortlich. Er bediente sich auf eine subtile Art aller dehnbarer verfassungsmäßiger Mechanismen, um die Interessen der ihm loyalen Gruppen zu bedienen. Über Macht und Einfluss verfügen in der Politik, in der Wirtschaft und in der Kultur fast ausschließlich nur die von Traian Basescu geförderten Personen. Sein Versuch, eine Art von Staatspartei zu etablieren, ist nicht hinnehmbar, vor allem nachdem sich im Parlament das Mehrheitsverhältnis geändert hat und im Mai die Regierung unter Premier Mihai Razvan Ungureanu zurücktreten musste. Die Lokalwahlen vom 10. Juni verhalfen der Opposition zu einem klaren Sieg. Trotzdem war Traian Basescu nicht bereit, seinen Konfrontationskurs zu verlassen. Jetzt ist die rumänische Gesellschaft gespaltener denn je. Auf der einen Seite befinden sich jene, die auf eine Rückkehr zur pluralistischen Demokratie setzen, auf der anderen Seite die Getreuen von Traian Basescu, die den Verlust ihrer in den letzten acht Jahren erworbenen Privilegien befürchten.

Wie groß ist die Gefahr, dass es in Rumänien wieder zu autoritären Regierungspraktiken kommt?

Das sehe ich nicht. Die Millionen Rumänen, die durch ihre Wahlstimmen dem Autoritarismus eines Traian Basescu Widerstand entgegengesetzt haben, sind der beste Beweis dafür. Eine viel größere Gefahr geht hierzulande von der derzeit zunehmenden antieuropäischen Stimmung aus. Die einseitige Parteinahme für Basescu seitens der EU-Kommission und des EU-Parlaments hat diese Stimmung angeheizt. Herr Barroso und Frau Reding wurden von Basescu als Wahlhelfer benutzt. Dem einseitigen Eintreten für Basescu, das im Widerspruch zu den prodemokratischen Erwartungen der Mehrheit steht, muss schleunigst Einhalt geboten werden. Die Mehrzahl der Rumänen war immer überwiegend proeuropäisch eingestellt – mitunter bis zu 80 Prozent der Bevölkerung. Ein Niedergang dieses Trends im siebtgrößten Land der 27 EU-Staaten würde auch zum Anwachsen des Euroskeptizismus im übrigen Europa führen. Inmitten der jetzigen Wirtschaftskrise wäre so etwas eine zusätzliche Belastung.

Was für Ratschläge würden Sie den Hauptakteuren geben?

Die bei der Aufnahme in die EU versprochenen Verpflichtungen müssen eingehalten und umgesetzt werden. Die EU ihrerseits müsste genauer hinsehen, was in Rumänien geschieht, vor allem sollte sie auf die unabhängigen Stimmen aus der Zivilgesellschaft hören.