Ist die Homo-Ehe spießig?

PAARE Überall lauern die Fallen des Mainstreams, denn selbst CDUler fordern nun das Ehegattensplitting für verpartnerte Schwule oder Lesben

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz. www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

JA

Lilo Wanders, 56, ist Moderatorin und Expertin für Liebe, Sex und BeziehungenAch, wie himmelhochjauchzend beginnen so viele „Beziehungen“ – ob auf Sex, Sicherheit, Freundschaft oder Schwangerschaft gründend. Immer zu zweit, alles teilen, schnell zusammenziehen, bald heiraten! Und dann aber schleicht sich der unerträgliche Alltag – ganz unbemerkt – ein, und jede Ehe landet an einem Punkt, wo sie spießig wird. Man realisiert, dass all die hochfliegenden Träume und Hoffnungen geplatzt sind, dass man gefangen ist in Konventionen und Ritualen, dass Leidenschaften verblasst sind. Entweder man zieht dann seine Konsequenzen und ändert etwas, oder man belässt alles aus Bequemlichkeit und Trägheit so, wie es ist. Aber da irgendjemandem die Spießigkeit vorzuwerfen, ist selbstgerecht und engstirnig: Sollen doch alle ihre ganz private Hölle nach ihrem eigenem Geschmack möblieren. Alle müssen sich untereinander heiraten dürfen und damit Gleichheit in Rechten und Pflichten erlangen. Und wenn das dann irgendwann erreicht ist, schaffen wir die Ehe als Institution endgültig ab.

Bodo Niendel, 38, Queerreferent der Linksfraktion und im Vorstand des Berliner CSDFür viele Menschen stellt die Ehe ein Auslaufmodell dar – und das aus gutem Grund. Netzwerke aus Freundinnen und Freunden haben längst familiäre Strukturen ersetzt. Auch die 20 Milliarden Euro, die der Staat mit dem Ehegattensplitting in Deutschland zum Fenster hinauswirft, haben dies nicht verhindert. Kindererziehung ist heute mehr denn je ein Netzwerkprojekt, weil es für ein Paar allein kaum mehr zu schaffen ist, ein Kind großzuziehen. Auch Lesben und Schwule haben diese Netzwerke. So werden beispielsweise Kinder in Konstellationen von zwei schwulen Vätern und zwei lesbischen Müttern großgezogen – was heutzutage Regenbogenfamilie genannt wird. Wer nur die Ehe liberalisiert, sichert diese Netzwerke damit nicht rechtlich ab. Deswegen greift die Forderung nach Gleichstellung von Ehe und eingetragener Partnerschaft auch zu kurz. Die Ursachen bleiben unangetastet, und die Symptome von Intoleranz sind weiter spürbar, wie etwa der Spießrutenlauf schwuler Jugendlicher auf dem Schulhof. Christina Schröder hat recht, die Ehe ist konservativ. Obendrein ist sie spießig. Aber darf man Spießigkeit qua Gesetz untersagen?

Susanne Haeberlen, 43, Politikstudentin, kommentierte unsere Frage per E-MailJa, natürlich ist sie spießig. Aber warum wird so selbstverständlich angenommen, dass Schwule und Lesben nicht spießig sind? Warum sollen Schwule und Lesben nicht bürgerliche Konventionen leben, wenn es ihnen Spaß macht? Und warum sollen Homosexuelle den Heteros als Projektionsfläche für ihre Sehnsüchte nach Ausbruch aus der staatlich abgesegneten monogamen Zweierbeziehung dienen? Das brauchen die Heteros heute doch gar nicht mehr, sie können so unspießig sein, wie sie wollen, und so viele Partner haben, wie gerne mit ihnen zusammen sind. Also: Heteros mit Sehnsucht nach dem ganz anderen, unbürgerlichen Leben gehen selbst in die Nacht hinaus und suchen Abenteuer, und Schwule und Lesben sehen ihnen von ihrer Zweisamkeitsidylle aus zu, falls sie dort nichts Besseres zu tun haben.

NEIN

Klaus Wowereit, 58, ist Regierender Bürgermeister von Berlin (SPD)Nein, die Homoehe ist nicht „spießig“, sondern sie ist gelebte Toleranz im demokratischen Rechtsstaat. Und solange Menschen sich dafür entscheiden, haben der Staat und haben andere Menschen das zu akzeptieren. Der Staat schützt die Ehe, und also sollte er genauso auch die eingetragene Lebensgemeinschaft schützen. Es wird umgekehrt ja auch niemand gezwungen, eine Bindung einzugehen. Toleranz hat nun einmal Konsequenzen, zum Beispiel für eine Gleichbehandlung im Steuerrecht. Da gibt es viele verschiedene Aspekte – nicht nur das Ehegattensplitting, das an sich ja auch antiquiert ist und in der bisherigen Form keine Zukunft hat. Die SPD verlangt da seit Langem eine grundlegende Reform. Dass gleichstellungspolitische Offenheit bei der Bundesregierung ziemlich schnell an enge Grenzen stößt, zeigt sich jedoch immer wieder. Zum Beispiel auch daran, dass es immer noch kein Adoptionsrecht für Schwule und Lesben gibt.

Judith Arndt, 36, ist Radrennfahrerin und gewann bei Olympia eine SilbermedailleWir Homos sind doch nicht spießig! Und die Ehe? Nun ja, ich möchte behaupten, dass der Hauptgrund für eine Eheschließung in einer tiefen gegenseitigen Liebe zweier Menschen liegt. Und – da sind wir uns sicher alle einig – Liebe ist alles, bloß nicht spießig! Allein die Liebe ist demnach auch schuld daran, dass wir starrsinnig an etwas festhalten, was in Anbetracht der jährlich steigenden Scheidungsrate vielleicht als überholt betrachtet werden könnte. So ist vielen unter uns durchaus eine romantische Kurzsichtigkeit vorzuwerfen, aber keinesfalls Spießigkeit! Die Homoehe ist nach jahrzehntelangem Kampf eine demokratische Errungenschaft und trägt zur Gleichstellung aller Menschen in der Gesellschaft bei. Endlich die Chance zu haben, sich öffentlich zueinander zu bekennen und mit allen Rechten und Pflichten ein gemeinsames Leben zu führen – welch ein wundervoller Fortschritt!

Stefan Kaufmann, 42, ist Bundestagsabgeordneter der CDU und offen schwulNein, die Homo-Ehe ist nicht spießig – genauso wenig wie die Hetero-Ehe. Merkmal beider Partnerschaften ist, dass die Partner füreinander einstehen. Vor einem Standesbeamten dokumentieren beide, dass sie bereit sind, gegenseitig Pflichten zu übernehmen. Eine eingetragene Lebenspartnerschaft ist nämlich genauso wie die Ehe rechtlich in erster Linie eine Pflichtengemeinschaft. Vor allem aber dokumentiert die eingetragene Lebenspartnerschaft wie auch die Ehe nach außen hin, dass man sich liebt und gewillt ist, ein Leben lang füreinander da zu sein – in guten wie in schlechten Zeiten. Dies ist nichts Altmodisches, sondern etwas Schönes. Schon in den zumeist üppig ausfallenden Hochzeits- wie auch Verpartnerungszeremonien kommt zum Ausdruck, wie erfüllend es ist, aller Welt zu zeigen, dass man ein Paar ist. Die Unverbindlichkeit des Zusammenlebens ohne Trau- oder Verpartnerungsschein soll damit nicht diskreditiert werden. Ein öffentliches Bekenntnis zueinander erfordert jedoch auch den Mut einer Entscheidung. Dies ist in einer Welt zunehmender Beliebigkeit nicht zu beanstanden – und schon gar nicht spießig.