Ist der neue Mann ein Weichei?
JA

GESCHLECHT Sie sind verständnisvoll und weinen in der Öffentlichkeit. Und es werden angeblich immer mehr. Nicht allen Frauen gefällt das

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Sonja Eismann, 39, ist Mitherausgeberin des feministischen Missy Magazine

Wenn es den neuen Mann wirklich schon gibt, dann ist er natürlich ein Weichei. Und das ist das Beste, was uns allen passieren kann. Denn was bezeichnet der stets despektierlich gemeinte Begriff für vermeintlich „unmännliche“ Männer, der genauso geschlechtsspezifisch bescheuert ist wie „Zicke“ für Frauen? Er bezeichnet einen Typen, der kein Problem damit hat, sich nicht an den längst morsch gewordenen Leitplanken von „echter Männlichkeit“ festzuklammern, sondern diesen binären Mist leichten Herzens über Bord werfen kann. Und der dabei gerne zugibt, dass er auch nicht genau weiß, wie es jetzt weiter geht, weil die Zeit des männlichen Immer-genau-über-alles-Bescheid-Wissens endlich vorbei ist. Zum Glück. Das neue Weichei fragt vor dem Küssen? Oh Schreck, da könnte das Gegenüber ja tatsächlich eine eigene Meinung äußern. Der neue Mann traut sich nicht zu küssen, weil er nicht immer alles selbst entscheiden kann oder will? Entsetzlich, da müsste das Gegenüber ja mal selbst aktiv werden. Was für ein Käse. Männer, die längst überkommene Einteilungen in harte, aktive Männlein und weiche, passive Weiblein in Frage stellen, sind genauso wie ebensolche Frauen nichts weniger als ein Geschenk. Und so sollten wir sie auch behandeln.

Sindy Malsch, 25, aus Erfurt, ist Sachbearbeiterin und kommentierte den Streit auf taz.de

Der neue Mann ist ein Warmduscher, ein Brötchen-über-der-Spüle-Aufschneider. Na und, schlimm? Ja. Ich finde es total albern, wenn Männer in der Öffentlichkeit heulen, für alles permanent Verständnis zeigen und ein Fass aufmachen, wenn sich jemand bei Mc Donald‘s einen Burger holt. Aber das gilt genau so auch für Frauen. Das zeigt uns: Männer sind auch nur Menschen.

Martina Läubli, Genderforscherin, gab das Buch „Männlichkeit denken“ mit heraus

Die Zeiten, in denen Männer ihre Stärke beweisen mussten, sind zum Glück vorbei. Aber kaum hat ein Mann den Macho hinter sich gelassen, wird seine Rolle von jungen Frauen neu festgeschrieben. Deren Eigeninteresse ist dabei unübersehbar: Sie suchen Mitstreiter bei der Realisierung ihres Lebensplans und halten gleichzeitig an einem konservativen Männerbild fest. Doch es gibt keine feste Antwort auf die Frage: „Wann ist ein Mann ein Mann?“ Jeder muss das Rätsel selber lösen. Natürlich ist das anstrengend. Aber auch schön: Weil eine Antwort nie definitiv sein muss, sondern die Männer von heute sich zwischen verschiedenen Rollen, Eigenschaften und Haltungen bewegen können – genau wie die Frauen.

Jörn Erbguth, 44, Jurist und Informatiker in Genf, kommentierte den Streit auf taz.de

Es gibt keine positiven Männervorbilder mehr. Weder der Workaholic noch der Playboy oder der Hausmann – keine Rolle scheint mehr erstrebenswert. Aber viele Frauen wissen selbst nicht, welchen Mann sie wollen – außer dass er alles falsch macht und an allem schuld ist. Also versucht der Mann von allem etwas zu sein – und wird dafür kritisiert, dass er keine Positionen mehr einnimmt, sich verunsichern lässt und ein „Weichei“ ist. Die Männer sollten ihre Rolle als neuer Mann selbst finden. Dadurch verlieren sie ihre Weinerlichkeit und gewinnen die Sympathien vieler Frauen!

Bushido, 33, ist Rapper, äußert sich gerne zu gesellschaftspolitischen Themen

Ja, der neue Mann ist ein Weichei. MfG. (Bushidos Antwort fällt so kurz aus, weil er an einem fernen Ort in der Sonne weilt. Noch bis Mitte Februar, hat er uns mitgeteilt.)

NEIN

Susianna Kentikian, 24, ist mehrfache Boxweltmeisterin und lebt in Hamburg

Der Frage, was ich von manchen Männern halte, habe ich sogar ein ganzes Kapitel in meiner Autobiographie gewidmet. Darin wimmelt es allerdings eher von Männern, die beide Ellenbogen gleichzeitig ausfahren, wenn sie etwas wollen. Als Profiboxerin mit sogenanntem Migrationshintergrund habe ich es tagtäglich mehrheitlich mit durchsetzungsstarken Typen zu tun, die ganz genau wissen, was sie wollen. Manche sind sogar so gierig und vermessen, dass sie denken, die Welt drehe sich alleine um und für sie. Die Waschlappenabteilung scheint aber trotzdem ein Thema zu sein, sonst würden ja sich nicht gleich mehrere Journalisten um das Thema reißen. Es muss sich da um blutleere Gestalten handeln, die mit dreißig noch bei Mama wohnen, nicht wissen, wie man eine Waschmaschine oder eine Frau anmacht. Vielleicht sollten die Damen, die sich über diese Spezies so viele Gedanken machen, einfach mal den Stadtteil wechseln. Oder sind sie möglicherweise sogar froh, dass aus den gedankenlosen Machos endlich willenlose Opfer geworden sind? Wenn die These von den Schlappis stimmt, brauchen wir auf jeden Fall keine Frauenquote in den Führungsetagen. Freut euch also, Ihr Karrierefrauen!

Jens Clasen, 40, ist Chefautor und Blogger für die Männerzeitschrift Men‘s Health

Ach, das ewige weibliche Wünsche-Spektakel! Was soll der Mann sein – Macho oder Softie? Das Hartei-Weichei-Spielchen erscheint mir wie eine Variante von „Im Winter willst du den Sommer – im Sommer den Winter“. Irgendwer ist da nie zufrieden. Die Männer, ob nun neu oder nicht, sind von der Wunschinflation verunsichert, ja. Aber es sind nicht alle Männer Weicheier, nur weil in Berlin-Mitte ein paar junge Burschen in ihr Limetten-Bier weinen. Genauso falsch wäre es, allen „neuen“ Frauen zu unterstellen, sie stünden auf wortkarge Macho-Typen in Flanellhemden. Doch natürlich sind diese Klischees – Machos, Weicheier, neue Männer – nicht nur das Gift, sondern auch die Würze der Geschlechterdebatte. Wo wir gerade dabei sind: Zum Thema Weicheier fällt mir der Spruch ein: „Frauen ertragen mehr Schmerz als Männer.“ Jetzt behauptet aber eine medizinische Studie aus Stanford, dass Frauen im Vergleich zu Männern bei exakt gleicher Ursache immer höhere Werte auf der Schmerz-Skala angeben. Berichten Frauen also einfach von schlimmeren Schmerzen, die sie ertragen mussten – und wirken darum tapferer? Und: Wären dann nicht alle Frauen Weicheier? Ich versuch‘s mal salomonisch: nicht mehr als alle Männer.

Lisa Ortgies, 45, ist Buchautorin und moderiert die Sendung „FrauTV“ im WDR

Wie war das noch? Junge Frauen wollen beides: Job und Familie, Erfolg und Glück. Und sie wollen Männer, die sie umwerben, aber bloß nicht zu fordernd, die sich für den gemeinsamen Säugling die Nächte um die Ohren schlagen, aber trotzdem die Kohle für die ganze Familie nach Hause tragen. Ich hoffe schwer, dass ich Euch jetzt nichts Neues erzähle, aber: Mädels, beides gibt‘s nicht. Das muss hart sein für all die toughen Prinzessinnen, die Unis und Accessment Center stürmen. Und die nach Feierabend offensichtlich immer noch auf SEINEN Anruf warten. Darauf, dass er den ersten Schritt macht – beim Küssen und an der Bettkante. Macht er nicht? Weil er seine Rolle verloren hat, wie Nina Pauer in der Zeit schreibt? Aha. Wie sah diese Rolle noch mal aus? Er steckt ihr schnell die Zunge in den Hals, damit sie nicht unter seinem Arm durchschlüpfen kann. Er sagt ihr: Baby, Du bist es! Weil ein richtiger Mann weiß, was ER will? Und damit sie dann auch endlich weiß, was SIE will. Und wieder in ihre passive Rolle findet, weil endlich einer da ist, der weiß, wo es langgeht – im Bett und im Leben? Nee, Mädels, das müsst Ihr Euch schon selbst überlegen. Wenn Ihr den richtigen vor der Nase habt – einen, der Euch den Erfolg lässt und sich den Säugling zur Brust nimmt – dann müsst Ihr den schüchternen Frosch vielleicht zuerst küssen. Na und? So manches Weichei könnte sich in einen Prinzen verwandeln!