KARIM EL-GAWHARY ÜBER DAS URTEIL GEGEN ÄGYPTENS FRÜHEREN DIKTATOR
: Der lange Schatten des Systems

Die meisten Ägypter betrachten das Urteil gegen Husni Mubarak als unheilbringendes Gesamtkunstwerk. Denn in dem Verfahren ging es nicht nur um den gestürzten Diktator, sondern auch um seine beiden Söhne und sechs der höchstrangigen einstigen Polizeioffiziere des Landes, die im gleichen Atemzug mit Mubaraks „lebenslänglich“ allesamt freigesprochen wurden. Nur der einstige Innenminister soll ebenfalls bis zum Ende seines Lebens hinter Gitter.

Grundlage für den Freispruch der Offiziere ist die schlechte Arbeit der Staatsanwaltschaft und die Nichtkooperation des Innenministeriums im Beweisverfahren. So sind handfeste Beweise für die Schießbefehlskette, die beim Aufstand gegen Mubarak 840 Demonstranten das Leben gekostet hat, auf wundersame Weise verschwunden, und im Innenministerium pinkelt im Korpsgeist kein Offizier den anderen an.

Weil die Ägypter nicht auf den Kopf gefallen sind, sind sie nach dem Urteil zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen. Doch das dürfte nicht ausreichen, um die Netzwerke des alten Regimes endlich aus den Angeln zu heben, das mit ihrem Präsidentschaftskandidaten Ahmad Schafik möglicherweise schon bald wieder an der Spitze des Staates Einzug hält.

Mit „Gefällt mir“- Klicks auf Facebook und Twitter-Tweeds wurde vor der Revolution gegen das Regime mobilisiert. Doch zu dessen Sturz reichte das nicht aus. Dazu brauchte es die Straße. Nun ist die Straße nicht genug, um die Netzwerke des alten Regimes im Sicherheitsapparat und im Militär endgültig ins Abseits zu drängen. Dazu müssen die Ägypter schnell daran arbeiten, den berechtigten Ärger auf der Straße auch politisch zu kanalisieren. Das ist die erste Demokratielektion im neuen Ägypten.

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