Der Mann aus Reutlingen

FINANZCASINO VON ULRIKE HERRMANN Die Deutsche Bank lässt ihre Boni extern prüfen. Ein interessanter Schachzug

■ ist Wirtschaftskorrespondentin der taz. Zuletzt schrieb sie an dieser Stelle über die Regierungspropaganda, die Hartz-IV-Reformen hätten Jobs geschaffen: „Die Lüge der Deutschen“.

Was ist eine leistungsgerechte Bezahlung – von Kanzlern, Managern oder Investmentbankern? Diese Frage regt die Deutschen verlässlich auf, und der nächste Anlass ist schon abzusehen: Die Deutsche Bank wird bald verkünden, ob und wie sie ihr Boni-System verändert.

Das Institut hat eigens eine externe Expertenkommission berufen, um sich dieser Boni-Frage zu widmen. Das Kalkül ist klar: Die beiden neuen Bankchefs Fitschen und Jain wollen den Eindruck erwecken, als würde die Vergütung fortan objektiv und fern jeden Eigeninteresses bestimmt.

Die Boni-Kommission leitet Jürgen Hambrecht – eine durchaus interessante Wahl. Der promovierte Chemiker war von 2003 bis 2011 Chef der BASF, wo er auch sein gesamtes Berufsleben verbracht hat. Hambrecht ist also nicht der schnittige Absolvent einer Managementschule, sondern hat anfangs mehr als neun Jahre an Polymeren herumgeforscht, „ohne wirklich in der Hierarchie aufzusteigen“, wie er in einem Interview sagte.

Die Herkunft der Manager

Ein Mann der Basis also, könnte man denken, und dies entspricht auch Hambrechts Selbstinszenierung. Seine Eltern hätten nur ein „kleines Malergeschäft“ in Reutlingen gehabt, teilt er in dem gleichen Interview mit, und die Mutter hätte sich um die Betriebsführung gekümmert. Aber so simpel war es vielleicht doch nicht. Das Personen-Archiv Munzinger weiß als weiteres Detail, dass der Großvater „eine Fabrik in Brasilien aufgebaut“ habe.

Es lohnt sich durchaus, die Herkunft von DAX-Managern zu betrachten, denn sie macht deutlich, dass Leistung allein meist nicht nach oben führt. Der familiäre Hintergrund ist mindestens ebenso wichtig. Wie der Soziologe Michael Hartmann ermittelt hat, stammen fast alle Vorstandsvorsitzenden aus einer kleinen Oberschicht, die ganze 3,5 Prozent der Bevölkerung umfasst.

Zurück zu Hambrecht. Sein Einsatz bei BASF hat sich für ihn ausgezahlt. In seinem letzten vollen Amtsjahr 2010 erhielt er 5,24 Millionen Euro. Ein normaler Vollzeitbeschäftigter, mit einem Durchschnittsgehalt von rund 41.000 Euro brutto im Jahr, bräuchte dafür 128 Jahre – hätte also schon zu Bismarcks Zeiten beginnen müssen.

Derartige Vergleiche werden gern als „Neiddebatte“ abqualifiziert, aber dieser missbilligende Ton geht fehl: Neid ist genau richtig. Da werden leistungslose Einkommen kassiert, das hätte man doch auch mal gern. Denn es ist nicht wirklich glaubhaft, dass Hambrecht hundertmal besser sein soll als der Rest der Bevölkerung. Doppelt so schlau wäre auch schon viel.

Das Szenario ist also amüsant: Ein überbezahlter Exmanager aus der Chemiebranche soll sich damit auseinandersetzen, dass in der Investmentbranche ebenfalls zu viel gezahlt wird – wobei natürlich viele Banker noch besser verdienen als Hambrecht. Trotzdem dürfte der Wandel bei der Deutschen Bank begrenzt bleiben. Im Fachjargon heißt derartiger Unsinn, auf die „Selbstkorrektur des Systems“ zu setzen.

Die Aktionäre bleiben gelassen

Um dieses „System“ besser zu verstehen, reicht es allerdings nicht, nur auf die Managergehälter zu starren. Es muss ja Gründe geben, warum die Eigentümer der Firmen – also die Aktionäre – so brav akzeptieren, dass die Vorstände derart gut verdienen. Der Grund ist denkbar simpel: Die Gewinne der DAX-Unternehmen sind so immens, dass selbst exorbitante Managergehälter kaum ins Gewicht fallen.

Die jüngsten Jahresdaten liegen momentan für 2011 vor. Das Beratungsunternehmen Ernst & Young hat ausgerechnet, dass die 30 DAX-Konzerne damals über 100 Milliarden Euro Gewinn eingefahren haben. Die Vorstandsvorsitzenden haben gleichzeitig im Durchschnitt 6 Millionen Euro verdient – macht für alle zusammen 180 Millionen. Nimmt man die Bezüge der anderen Vorstandsmitglieder hinzu, dürften die Kosten für die Manager rund eine Milliarde Euro betragen haben. Das waren 1 Prozent des Gewinns. Da wundert es nicht, dass die Aktionäre gelassen bleiben.

Die Diskussion verläuft ein wenig verdreht: Ein ganzes Volk regt sich über jene Milliarde Euro auf, die an die DAX-Vorstände geht – fragt sich aber nie, wo eigentlich die 100 Milliarden Euro an DAX-Gewinnen bleiben. Kommentarlos wird hingenommen, dass man über die Vermögensverteilung in Deutschland fast gar nichts weiß. Die spärlichen Indizien, die es gibt, lassen jedoch vermuten, dass das reichste Hundertstel der Bevölkerung etwa ein Drittel des gesamten Volksvermögens besitzt. Deutschland ist eine extreme Klassengesellschaft, was die Klasse der Arbeitnehmer aber lieber ignoriert.

Deutschland ist eine extreme Klassengesellschaft, was die Klasse der Arbeitnehmer aber lieber ignoriert

Die Schwarmintelligenz sagt …

Trotzdem ist es nicht ganz verfehlt, sich über die Managergehälter zu erregen, denn indirekt besteht natürlich ein Zusammenhang zwischen hohen Gewinnen, hohen Boni – und dümpelnden Reallöhnen für die Mehrheit der Gesellschaft. Es gehört zum Geschäftsmodell der Konzerne, die Gehälter möglichst zu drücken, um die eigenen Profite zu steigern, woran die Manager dann beteiligt werden.

In Umfragen zeigt sich, dass viele Menschen instinktiv ähnlich antworten, wenn sie angeben sollen, was eine gerechtes Lohngefälle wäre. Meist kommt ein Verhältnis von 1 zu 20 bis 1 zu 30 heraus, die der Abstand zwischen den mittleren und den hohen Gehälter betragen dürfe. Umgerechnet: Es würde also akzeptiert, wenn Manager 900.000 oder auch 1,2 Millionen Euro im Jahr verdienten. Dies wäre immer noch sehr viel Geld. Es mag albern erscheinen, dies so nachdrücklich zu betonen, aber Manager tun gern so, als würden sie ins Prekariat absteigen, sobald sie nicht deutlich siebenstellig kassieren.

Im Sinne der Schwarmintelligenz wäre es also einfach, ein Boni-Modell für die Deutsche Bank zu entwickeln: Bei maximal 1,2 Millionen Euro wäre Schluss – und eine weitere Erhöhung nur möglich, wenn auch die Reallöhne der Gesamtbevölkerung steigen. Aber genau solche Lösungen sind tabuisiert. Die Deutsche Bank hat ausdrücklich bestimmt, dass die externen Berater keine Gehaltsobergrenzen vorschlagen dürfen. Die Selbstbedienung wird weitergehen.