Sinnlos wanderndes Geld

FREITAGSKASINO VON ULRIKE HERRMANN Wer reich bleiben will, muss Keynes lesen

■ ist Wirtschaftskorrespondentin der taz. Im September erschien ihr neues Buch „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Westend).

Wo bleibt eigentlich das viele Geld? Milliarden Euro scheinen in einer Art Kreisverkehr festzustecken.

Der Ausgangspunkt ist klar: Viele Sparer und Anleger haben Angst um ihr Finanzvermögen – und kaufen hektisch Immobilien, Aktien oder Gold. Aber damit ist das Geld nicht aus der Welt, sondern hat nur die Hände gewechselt. Der Käufer hat jetzt eine Aktie oder ein Haus, während der Verkäufer den finanziellen Gegenwert auf seinem Konto wiederfindet.

Mit dem Geld ist auch das Problem gewandert: Nun steht der Verkäufer der Aktie oder Immobilie vor der Frage, wie er sein Finanzvermögen wieder anlegen könnte. Zur Ironie des Kreisverkehrs gehört, dass der Verkäufer meist neue Wertpapiere oder Häuser erwirbt, um sein Geldvermögen zu „sichern“. Die Aktien wandern genauso wie das Geld.

Warum der DAX klettert

Dieser Kreisverkehr ist zwar bizarr, aber nicht folgenlos, er treibt die Aktienkurse und Immobilienpreise nach oben, weil die rege Nachfrage suggeriert, dass die Kurse noch weitersteigen könnten. Jede neue Runde zwischen Käufern und Verkäufern scheint zu bestätigen, dass es zu echten „Wertsteigerungen“ bei Aktien und Häusern kommt.

Der deutsche Aktienindex DAX steuert auf die Rekordmarke von 9.000 Punkten zu, und Wohnungen in Ballungszentren sind um bis zu 20 Prozent überbewertet, wie die Bundesbank vor ein paar Tagen bemängelt hat. Mit der ökonomischen Realität hat dieser Höhenflug nichts zu tun: Die deutsche Wirtschaft dürfte in diesem Jahr nur um mickrige 0,5 Prozent wachsen, wie Noch-Minister Philipp Rösler am Mittwoch bekannt gab.

Das viele Geld scheint also nicht in der Realwirtschaft anzukommen, sondern wird zwischen reichen Anlegern nur hin und her geschoben – solange es im Inland bleibt. Aber es gibt ja noch das Ausland, und dorthin fließt das überschüssige Geld der Deutschen am Ende ab. Dieses Phänomen hat auch einen Namen: „Exportüberschuss“.

Auf den ersten Blick mag der Zusammenhang zwischen Exporten, Geldüberhang und Anlagestrategien eher lose wirken. Deswegen ist es am einfachsten, zunächst mit den Exportüberschüssen zu beginnen.

Jedes Jahr exportiert Deutschland weit mehr, als es importiert. Allein im Jahr 2012 betrug die Differenz 188 Milliarden Euro. Derart exorbitante Überschüsse sind in Deutschland keine Ausnahme, sondern die Regel. Seit der Jahrtausendwende summieren sich die Exportüberschüsse auf fast 2 Billionen Euro.

Exportüberschüsse sind jedoch Ersparnisse. Man liefert Waren ins Ausland und erhält dafür Geld – das man aber selbst nicht ausgibt. Sonst würden die Exportüberschüsse ja nicht existieren.

600 Milliarden sind schon weg

Während jeder Exportüberschuss in Deutschland zu Ersparnissen führt, ist es in den Importländern genau anders herum: Da sie mehr ein- als ausführen, wird das Geld knapp – und muss im Ausland geliehen werden.

Als Kreditgeber bietet sich natürlich Deutschland an, dessen vermögende Bürger ratlos sind, wo sie ihr Geld lassen könnten. Zudem entfalten permanente Exportüberschüsse ihre eigene Logik. Da Deutschland nicht ausreichend importiert, muss es dem Ausland Geld leihen, damit es die deutschen Waren kaufen kann.

Irgendwann, ebenfalls logisch, ist das Ausland überschuldet und zahlt seine Kredite nicht zurück. Diese Überlegung ist keineswegs abstrakt, sondern längst Realität. Allein zwischen 2006 und 2012 haben deutsche Anleger im Ausland etwa 600 Milliarden Euro verloren, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung berechnet hat. Oder anders ausgedrückt: Ein Drittel der Exportüberschüsse, die seit der Jahrtausendwende angehäuft wurden, sind schon wieder vernichtet. Das Geld ist vor allem während der Finanzkrisen verschwunden – erst in der Subprime-Krise ab 2007 und dann in der Eurokrise.

Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht: Im Inland kreist das Geld von einer Hand zur nächsten und befeuert scheinbare „Wertsteigerungen“, während es im Ausland bereits abgeschrieben werden muss.

Aber seltsam: Die Reichen in Deutschland setzen auf ein „Weiter so“, obwohl sie Geld verlieren. Trotzdem darf sich nichts ändern, wie die Union auch in den laufenden Koalitionsverhandlungen deutlich macht. Steuererhöhungen? Ausgeschlossen. Deutliche Lohnsteigerungen? Auch sie sind ausgeschlossen, obwohl die Reallöhne seit der Jahrtausendwende gefallen sind. Nur ein bisschen Mindestlohn gilt als denkbar.

Beim Staat und bei den normalen Arbeitnehmern wäre jeder Zusatz-Euro bestens angelegt

Die beste Investition: Steuern

Dabei wäre es für die Reichen die allerbeste Investition, wenn sie höhere Steuern und höhere Löhne zahlen würden. Auf den ersten Blick mag es zwar wie ein Verlust wirken, wenn die Spitzenverdiener und Kapitaleigner mehr Geld an den Staat und an ihre Arbeitnehmer abführen müssten. Nur wird bei dieser Kalkulation gern vergessen, dass das Geld derzeit nichts wert ist und sinnlos kreist.

Beim Staat und bei den normalen Arbeitnehmern hingegen wäre jeder Zusatz-Euro bestens angelegt, denn sie haben einen Vorteil, der zu wenig gewürdigt wird: Der Staat spart gar nicht – und der Normalverdiener höchstens eingeschränkt. Sie geben das Geld sofort wieder aus, das sie erhalten, und sorgen damit für jene Nachfrage, die es erst lohnend macht, in die echte Produktion zu investieren – statt nur mit Aktien zu handeln. Auch die Exportüberschüsse würden abschmelzen, wenn die Binnennachfrage zulegte.

Diese Gedanken sind nicht originell, sondern stammen von dem britischen Ökonomen John Maynard Keynes. In Deutschland wird der Name „Keynes“ oft wie ein Schimpfwort gebraucht – meist von Leuten, die keine Zeile seines Werks gelesen haben.

Diese selbstzufriedene Ignoranz ist unverständlich, denn Keynes war ein reicher Mann, der die Sorgen von Geldbesitzern bestens kannte. Aber er sah eben, als Betroffener, dass hohe Steuern für die Reichen sein müssen und dass reine Börsenspekulation fatal endet – mit dem „Tod des Rentiers“.