Der Stellvertreterkrieg

NAHOST Im Libanon droht ein neuer Bürgerkrieg. Saudi-Arabien kämpft dort im Schulterschluss mit der Türkei gegen den Iran, den Irak und die Hisbollah

Wenn man Schiiten in Südbeirut nach der Intervention der Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg fragt, dann hört man meist dieses Argument: Bekämpfen wir die Feinde nicht in Syrien, dann kommen sie hierher zu uns in den Libanon. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Seit die Hisbollah den syrischen Diktators Baschar al-Assad militärisch unterstützt, ist die Schiitenmiliz in ihren eigenen Vierteln nicht mehr vor Bomben sicher.

Der Doppelanschlag diese Woche auf die iranische Botschaft in Beirut, der Teheran und die eng verbündete Hisbollah gleichermaßen treffen sollte, ist nicht der erste. Schon im Sommer detonierten in den Beiruter Hisbollah-Hochburgen zwei Sprengsätze. Im Juli gab es lediglich Verletzte, aber beim zweiten im August kamen bereits über 20 Menschen ums Leben. Seitdem sind die Schiitenviertel zu Festungen geworden – mit Checkpoints und geheimdienstlicher Überwachung.

Umgekehrt sind auch auf sunnitische Moscheen in Tripoli, Libanons zweitgrößter Stadt, zwei Attentate verübt worden. Im Verdacht stehen schiitische und alawitische Gruppierungen. In Tripoli tobt eine Art syrischer Miniaturkrieg: die Sunniten im Tal, die die Rebellen im Nachbarland unterstützen, gegen eine alawitische Enklave auf dem Berg, die zum Glaubensbruder Assad hält.

Der Krieg in Syrien, der auf den Libanon übergreift, ist zu einem Kampf zwischen Sunniten und Schiiten geworden – eine Auseinandersetzung zwischen Saudi-Arabien, Katar und der Türkei auf der einen und Iran, Irak und die Hisbollah auf der anderen Seite. Der uralte Konflikt zwischen den beiden wichtigsten islamischen Strömungen wird in den Libanon hineingetragen. Das kleine Land war schon immer gut für Stellvertreterkriege.

Doch der Aufstand in Syrien hat nicht als Glaubenskrieg begonnen. Am Anfang rebellierten Syrer gegen die Diktatur, für Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Der Glaube hat, wenn überhaupt, nur eine Nebenrolle gespielt. Erst die Einmischung von außen, vor allem von Saudi-Arabien und Iran, hat aus dem Konflikt einen Religionskrieg gemacht.

Saudi-Arabien hat sicher nicht beabsichtigt, dass am Ende Al-Qaida-Brigaden durch Syrien ziehen. Eines der vorrangigsten Ziele al-Qaidas ist schließlich die Vernichtung der saudischen Monarchie. Doch die Saudis unterstützen islamistische Rebellen, die einen Gottesstaat wollen. Wo hört ein Islamist nach dem Gefallen der Golfstaaten auf? Und wo fängt ein Salafist an? Die Grenzen sind fließend. Ist der Geist erst einmal aus der Flasche, kann ihn niemand mehr kontrollieren. Die Saudis haben das in Kauf genommen.

Warum? Es geht um weit mehr als Religion. Für alle Beteiligten geht es auch um ihre Stellung als Regionalmächte. Ohne das Assad-Regime verlieren Iran und Hisbollah den direkten Kontakt zueinander. Ideologisch hat man mit dem säkularen Assad zwar nichts gemein. Aber Syrien ist ein unverzichtbares Transitland nicht nur für Waffenlieferungen, sondern auch für den menschlich-religiösen Kontakt zwischen Hisbollah und Iran. Ein verlässlicher Verbündeter ist Assad obendrein.

Die Golfstaaten sehen ihren Einfluss schon seit einem Jahrzehnt schwinden. Mit dem Sturz Saddam Husseins gehört der Irak mit seiner schiitischen Mehrheit nun zum iranischen Einflussgebiet. Die arabische Führungsmacht Ägypten versinkt im Chaos. Technologisch, insbesondere auf dem Gebiet der Atomenergie, haben die ehrgeizigen Iraner die trägen Nachbarstaaten längst abgehängt.

All das lässt nichts Gutes für die Zukunft ahnen. Selbst wenn Assad fällt, ist der Konflikt nicht beendet. Es bedarf keines Propheten um vorherzusagen, dass sich der Kriegsschauplatz dann in den Libanon verlagern wird. Die Hisbollah muss sich darauf einstellen, dass sie auf Dauer nicht nur vor dem Erzfeind Israel auf der Hut sein muss. Gefahr droht dann auch aus dem Libanon selbst. SILKE MERTINS