WOLFGANG GAST ÜBER DIE WELTWEITE BESPITZELUNG DER BÜRGER
: Digitales Freiwild

Die US-Dienste und ihre Dienstleister verschlingen jährlich mehr als 52 Milliarden Dollar

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat zum Ende seiner zehnjährigen Amtszeit noch einmal seine Auffassung unterstrichen: „Der Schutz der Privatsphäre ist ein internationales Menschenrecht, das auch und gerade im Zeitalter der globalen Kommunikation weltweit garantiert werden muss.“ Ein halbes Jahr nach den ersten Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden griff Schaar damit auf eine am 18. Dezember einstimmig angenommene Entschließung der UN-Generalversammlung zurück, die von Deutschland und Brasilien eingebracht worden war.

Die UN-Versammlung fordert in dieser Entschließung die Staatengemeinschaft auf, sicherzustellen, dass die einschlägigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit den Verpflichtungen nach den internationalen Rechtsnormen im Einklang stehen. Das liest sich gut, bleibt aber erst einmal nur ein frommer Wunsch. Die UN-Entschließung hat – wie alle UN-Entschließungen – keine bindende Wirkung.

Die in der Resolution erwähnten innerstaatlichen Rechtsvorschriften befassen sich in aller Regel nur mit der Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Überwachung der eigenen StaatsbürgerInnen im In- und Ausland zulässig ist. So darf der Bundesnachrichtendienst im Prinzip über Deutsche im Ausland keine Daten sammeln. In der Praxis wird die Vorschrift umgesetzt, indem die im weltweiten Datenschleppnetz des BND hängen gebliebenen E-Mails mit der Domainendung .de automatisch gelöscht werden. Analoge Regelungen gibt es in den USA und den Ländern der Europäischen Union.

Solcher Luxus gilt für Ausländer nicht. Die Bürgerinnen und Bürger anderer Staaten sind für die jeweiligen Nachrichtendienste digitales Freiwild: Jagdgesetze gibt es nicht, Schonzeiten ebenso wenig wie ausgewiesene Schutzgebiete. Das einzige Kriterium, das bei der Datenbeschaffung zählt: Ist es die Beute wert, was die Jagd an Aufwand mit sich bringt? Die US-Geheimdienste und die ihr zuarbeitenden Dienstleister verschlingen jährlich eine Summe von mehr als 52 Milliarden Dollar. So ist es kein Wunder, dass die angeblichen Erfolge der weltweiten Datenschleppnetzfahndung formvollendet geschönt werden (müssen). Dutzende von Anschlägen seien durch die Spähaktionen der US-Geheimdienste verhindert worden, wird Washington nicht müde zu betonen. Der Schönheitsfehler: Ein von US-Präsident Obama eingesetztes Expertengremium widersprach umgehend: „Die über die Auswertung telefonischer Verbindungsdaten gewonnenen Erkenntnisse haben bei der Verhinderung terroristischer Anschläge keine bedeutende [„essential“] Rolle gespielt“.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Das gilt selbst unter engsten Verbündeten, wie das Beispiel der „Five Eyes“ zeigt. Im exklusiven Spionageklub, der seine Wurzeln im gemeinsamen Widerstand gegen Hitlerdeutschland hatte, wird gegenseitiges Vertrauen und der grenzenlose Austausch aller Informationen großgeschrieben. Die NSA hindert dies aber nicht, eigenständig Daten etwa aus Großbritannien auszuwerten. Jeder gegen jeden gilt als Prinzip.

Der frühere CIA-Mann und NSA-Mitarbeiter Edward Snowden warnte dieser Tage in der traditionellen alternativen Weihnachtsbotschaft des britischen Senders Channel 4, George Orwells prophetisches Werk „1984“ sei ein alter Hut angesichts der technischen Möglichkeiten, über die die Dienste heute verfügen. Wenn dabei jetzt vor allem die USA und Großbritannien als monströse Überwachungsstaaten erscheinen, dann ist dies sicherlich dem Umstand geschuldet, dass Snowden vor allem Zugang zu Materialien der NSA und seinem britischen Pendant GCHQ hatte. Über die Praktiken der Geheimdienste etwa Russlands oder Chinas, aber auch Israels oder Frankreichs ist vergleichsweise wenig bekannt. Naiv wäre es zu glauben, in diesen Ländern gäbe es keine ähnlich gelagerten Programme oder staatlich betriebene Wirtschaftsspionage.

Ein weltweites Recht auf Privatheit im Zeitalter der digitalen Kommunikation dürfte erst dann in die Reichweite einer Chance kommen, wenn auch deren Überwachungspraktiken ans Licht gezerrt werden. Mit anderen Worten: Viel Arbeit für Whistleblower.