Debatte Familienrecht: Kompliziertes Patchwork

Die Grünen schlagen eine Neuregelung der sozialen Elternschaft vor. „Stiefmütter“ und „Stiefväter“ sollen ähnliche Rechte bekommen wie leibliche Eltern.

14 Prozent aller Familien sind Patchworkfamilien. Bild: dpa

Eine Szene, wie sie sich während der Sommerferien an so manchem Flughafen immer wieder abspielen könnte: Eine Frau mit zwei kleinen Kindern steht am Check-in-Schalter, die Mitarbeiterin der Fluglinie will die Tickets bearbeiten.

Die Frau und die beiden Kinder sind froh gestimmt, es ist der erste gemeinsame Urlaub der jungen Patchworkfamilie. Der Mann ist mit seinen zwei anderen Kindern bereits am Urlaubsort und wartet auf den Rest der Familie. Aber jetzt will die Mitarbeiterin Papiere sehen, auch die von den Kindern. Die Frau zuckt mit den Achseln, sie hat nur welche für ein Kind, für ihr eigenes. Für ihr „Beutekind“ hat sie nicht mal eine Vollmacht, die beweist, dass sie mit dem Kind reisen darf.

Gewiss, daran hätten die Eltern rechtzeitig denken können. Schließlich ist so eine Urlaubsreise mit dem Nachwuchs keine spontane Angelegenheit. Aber es gibt auch andere, alltägliche Situationen, in denen die neuen PartnerInnen von der Mitverantwortung ihrer „neuen“ Kinder ausgeschlossen sind: Schule, Hort, Krankenhaus.

Das kennen viele Patchworkeltern: Da kann eine Mutter kurzfristig ihr Kind nicht aus der Kita abholen und bittet ihren Partner, das zu übernehmen. Die Erzieherin aber sagt: „Wir haben keine Vollmacht, ich kann Ihnen das Kind nicht mitgeben.“ Ein Patchworkvater wird beim Kinderarzt abgewiesen, weil nicht er, sondern nur die leiblichen Eltern entscheiden können, ob das Kind die Impfung bekommt oder nicht – obwohl der Mann seit Jahren Verantwortung für das Mädchen oder den Jungen übernommen hat.

Die sogenannte soziale Elternschaft

Das wollen die Grünen jetzt ändern. „Stiefmütter“ und „Stiefväter“ sollen ähnliche Rechte bekommen wie leibliche Eltern. Über das „Rechtsinstitut elterliche Mitverantwortung“, das nun im Wahlprogramm der Partei verankert ist, debattieren die Grünen schon länger. Hetero- wie homosexuelle PatchworkerInnen, höchstens aber beide leibliche Eltern und deren neue PartnerInnen, sollen die sogenannte soziale Elternschaft bekommen können. Mit einem Familienpass können dann die neuen, rechtlich gleichgestellten Eltern problemlos mit allen Kindern ins Flugzeug steigen oder zum Arzt gehen.

Was aber ist mit Pflichten wie beispielsweise dem Kindesunterhalt? Den sollen alle Beteiligten zahlen, finden die Grünen. Die Bundestagsfraktion hat jüngst beschlossen, dass alle Beteiligten zu gleichen Teilen Unterhalt für das Kind zahlen. Bei einem Dreierpatchwork – beispielsweise leibliche Mutter, leiblicher Vater, neuer sozialer Vater – würde der Unterhalt gedrittelt. Sind vier Elternteile beteiligt, soll er geviertelt werden.

Die Grünen denken aber noch weiter. So sieht ein Zusatzpapier, das der taz exklusiv vorliegt, vor, dass die Unterhaltspflicht bestehen bleiben soll, wenn sich die Patchworkeltern wieder trennen. Damit bedenkt die Partei, dass auch Zweit- und Drittbeziehungen nicht mehr so lange halten. Man kann das modern nennen. Aber ist es auch klug, eine Unterhaltspflicht aufrechtzuerhalten, wenn die Folgebeziehung in die Brüche geht?

Viele potenzielle Zweitmütter und Zweitväter könnte das abschrecken. Warum soll jemand für ein Kind zahlen, mit dem er nichts mehr zu tun hat? Sorge und Verantwortung für die Patchworkzeit zu übernehmen ist nachvollziehbar. Aber warum auch noch danach? Es geht hier ja mitnichten um die eigenen leiblichen Kinder.

Das klingt einfach

Die Grünen meinen es offenbar ernst mit ihrem Slogan: „Familie ist überall dort, wo Menschen verbindlich füreinander Verantwortung übernehmen.“ Das klingt gut, das klingt einfach. Aber ist das leicht zu machen?

Da sind zunächst die beiden leiblichen Eltern. Auch wenn Schmerz und Wut nach einer Trennung vergangen sind, dürfte es nur wenige getrennte Mütter und Väter geben, die wollen, dass der oder die Neue über ihr Kind bestimmt: „Der Neue hat schon meine Frau, mein Kind soll er nicht auch noch bekommen.“

Ähnliches zeigt sich beim Blick auf ein anderes Familienproblem: Seit das neue Sorgerecht in Kraft ist, mit dem Väter nahezu automatisch das Sorgerecht erhalten, steigt die Zahl der Sorgerechtsprozesse stetig. Mütter und Väter führen exemplarisch vor, wie schwer es getrennte Eltern haben, die sich nicht einigen können. Da hilft auch ein Gesetz nicht weiter. Warum sollte das einfacher werden, wenn neue Partner dazukommen?

Die Zahl der Patchworkfamilien wächst. 14 Prozent aller Familien sind es derzeit, hat das Allensbacher Institut für Demoskopie ausgerechnet. Und es werden mehr angesichts der höheren Scheidungsraten, bei denen minderjährige Kinder betroffen sind. Viele dieser Kinder bekommen Stiefgeschwister, wenn sich ihre Eltern neu binden – ganz gleich, ob sie wieder heiraten oder „nur“ eine Lebensgemeinschaft bilden.

Eltern wollen klare Regeln

Wie gehen Eltern mit der erweiterten Verantwortung um? Und was hat der Staat damit zu tun? Viele Paare, die mit den Töchtern und Söhnen ihrer neuen PartnerInnen leben, wünschen sich klare Regeln. Für die „kleinen“, privaten Probleme wie Medienkonsum der Kinder, Sport, Essen, Taschengeld.

Vor allem aber für grundsätzliche Situationen im täglichen Miteinander: Arzt, Schule, Flughafen. Viele „Zweitmütter“ und „Zweitväter“ wollen mehr sein als Begleitpersonen in der zweiten Reihe. Sie wollen mitentscheiden dürfen in Situationen, in denen rasche Entschlüsse gefordert sind, und in Fällen, die den Patchworkalltag direkt betreffen.

Doch wer durchschaut schon das komplizierte grüne Konstrukt aus Anträgen, Gerichtsterminen, Elternpässen? Wer lässt sich auf detaillierte Befragungen, Erörterungen der Lebensumstände und möglicherweise auf ein Beweis-Erbringen der Verantwortung ein? Vermutlich vor allem AkademikerInnen. Bildungsferne Eltern, die sich ebenso für Patchwork entscheiden, bleiben angesichts solcher Hürden ausgeschlossen von einem fakultativen Recht.

Viele Eltern fühlen sich häufig schon überfordert vom obligatorischen Papierkram. Die Grünen wollen für das veränderte Familienbild einen Rahmen, der passt. Das ist vorbildlich. Aber es scheint, als seien sie etwas übers Ziel hinausgeschossen.

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Ressortleiterin taz.de / Regie. Zuvor Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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