Vergesst Oslo

NAHOST Seit 20 Jahren wird über eine Zweistaatenlösung zwischen Israelis und Palästinensern verhandelt. Ein Abkommen wird immer unwahrscheinlicher

■ ist Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Von 2004 bis 2006 arbeitete er als Referent im Auswärtigen Amt, danach als außenpolitischer Referent in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

2014 ist die allerletzte Chance, die Zweitstaatenlösung zu retten.“ So oder so ähnlich wird es auch zu Beginn dieses Jahres wieder in den Erklärungen zum Nahost-Friedensprozess heißen. Das Ritual ist mittlerweile fast genauso alt wie der sogenannte Friedensprozess, der 1993 begann. Dabei war dieser Prozess über weite Strecken nicht von Frieden, sondern Stillstand, manchmal Krieg und meist einer schleichenden Verschlechterung der Lage geprägt. Das zwanzigjährige Oslo-„Jubiläumsjahr“ 2013 ist gerade vergangen. Es war ein trauriges Jubiläum. Längst ist der Name der norwegischen Hauptstadt, wo sich einst die geheimen israelischen und palästinensischen Emissäre trafen, im Nahen Osten zum Synonym für das völlige Scheitern der Zweistaatenlösung geworden.

Komplizierte Zonen

Der Prozess hat ein bis heute bestehendes System geschaffen, das einerseits die anhaltende israelische Besatzung und schleichende Landnahme im Westjordanland ermöglicht, andererseits die Fragmentierung der palästinensischen Gesellschaft beschleunigt hat. Die komplizierte Aufteilung der Westbank in verschiedene Zonen hatte das erklärte Ziel, eine schrittweise Rückgabe des 1967 besetzten Landes an die Palästinenser einzuleiten. Aber lediglich in den größeren Städten, den sogenannten A-Gebieten, regiert bisher die 1994 gebildete „Palästinensische Autorität“.

Der Gazastreifen wird mittlerweile von der Hamas kontrolliert und ist aufgrund der israelischen Blockade völlig isoliert von der Westbank. Die Kluft zwischen Fatah und Hamas ist tiefer denn je und eine Versöhnung nicht in Sicht. Seit 2006 haben sie sich keinen Wahlen mehr gestellt. Die Zustimmung der palästinensischen Gesellschaft für die Parteien und ihre Programme sinkt rapide: auf der einen Seite die Hamas und ihre überkommene „Widerstandsrhetorik“ gegenüber Israel, auf der anderen Seite Fatah und ihre Sicherheitskooperation mit Israel und die bedingungslose Bereitschaft zu Verhandlungen.

Die Zersplitterung des Territoriums ist zum Dauerzustand geworden, und die so genannten C-Gebiete, rund 60 Prozent der Westbank, werden von Israel vollständig kontrolliert. Dort leben nur noch circa 150.000 Palästinenserinnen und Palästinenser, die von der Besatzungsbehörde keine Baugenehmigungen erhalten und von Hauszerstörungen durch die israelische Armee bedroht sind. Ihre Bewegungsfreiheit ist durch Checkpoints und die israelische Trennmauer eingeschränkt. Hier hat sich die Zahl der israelischen Siedler zwischen 1993 und 2013 auf 350.000 verdreifacht, für die der israelische Staat eine aufwendige Infrastruktur geschaffen hat.

Diese Gebiete gelten der aktuellen israelischen Regierung, der mehrere Protagonisten der nationalistischen Siedlerbewegung in hochrangigen Positionen angehören, gar nicht mehr als besetzt, sondern höchstens als „umstrittene Gebiete“. Auch offiziell werden sie wie in der Bibel „Judäa und Samaria“ genannt, was den Besitzanspruch deutlich macht.

Der Palästinensischen Autorität haben zwar internationale Organisationen mehrfach bestätigt, dass sie im Prinzip bereit wäre, einen eigenen Staat zu führen. Weil ihr wichtige Ressourcen fehlen – knapp 4 Milliarden Dollar pro Jahr errechnete zuletzt die Weltbank –, die durch Israel als Besatzungsmacht ausgebeutet werden, hängt sie am Tropf internationaler Geber. Internationale Hilfe für den Staatsaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung kann aber nicht wirken, wenn die Machtfülle der Palästinensischen Autorität über den Rang einer Stadtverwaltung nicht hinausgeht. So ist im wahrsten Sinne kein Staat zu machen.

Kerrys Mission

Dieses „System Oslo“, das Anfang der 90er Jahre eigentlich für eine Übergangszeit von fünf Jahren geschaffen worden war, wird stillschweigend bis heute akzeptiert. Auch die jüngste US-Vermittlungsinitiative unter Führung von Außenminister John Kerry setzt auf Kontinuität, lässt aber die Frage offen, warum nun das funktionieren soll, was zuletzt in 20 Jahren nicht gelang. Bis zum April 2014, so das erklärte Ziel, soll bereits eine endgültige Friedensregelung gefunden werden.

Israels Siedlungspolitik

Auf palästinensischer Seite wächst die Befürchtung, dass der moderate, aber geschwächte palästinensische Präsident Abbas zu einem Abkommen gedrängt werden könnte, das in erster Linie die Interessen der derzeitigen rechten israelischen Regierung, nicht aber palästinensische Sicherheitsinteressen berücksichtigt.

Im Nahen Osten ist der Name Oslo zum Synonym für das völlige Scheitern der Zweistaatenlösung geworden

Obama und Kerry müssen nach Monaten der Verhandlungen etwas vorweisen. So könnte ein Übergangsabkommen geschlossen werden, das erneut, wie die Oslo-Verträge, zentrale Streitthemen wie die Zukunft Jerusalems oder die Frage der palästinensischen Flüchtlinge ausklammert. Diskutiert wird die Legalisierung der großen Siedlungsblöcke und eine dauerhafte israelische Militärpräsenz im Jordantal. Im Gegenzug könnten die Palästinenser einen Gebietsausgleich sowie wirtschaftliche Förderung erhalten. Sollte es so kommen und damit zentrale Fragen erneut verschoben werden, dürfte sich ein weiterer Name in die lange Liste der seit 1993 abgeschlossenen Pläne und Abkommen einreihen. Der Oslo-Prozess wäre dann endgültig gescheitert.

Dann müssten echte Alternativen angedacht und die verknöcherten Oslo-Strukturen beseitigt werden. Dazu zählt die Auflösung der A-, B- und C-Zonen ebenso wie ein mögliches Ende der Palästinensischen Autorität, die ohne demokratische Legitimation nicht weiterexistieren kann. Die PLO könnte den Weg, Anerkennung vor den Vereinten Nation und anderen internationalen Gremien zu gewinnen, weitergehen.

Israel müsste sich dann entweder ganz aus den besetzten Gebieten zurückziehen oder erneut die Verantwortung für die Besatzung der gesamten Westbank übernehmen. Letzteres kann eigentlich nicht im Interesse Israels liegen. Dann würde 2014 zwar das Ende des bisherigen „Friedensprozesses“ bedeuten. Es könnte aber die Chance sein für die Suche nach neuen, alternativen Wegen zu einem friedlichen Zusammenleben. RENÉ WILDANGEL