DIE EINE FRAGE
: Na ja, der Hermann Gröhe

Wird die Pizza-Connection aus CDU- und Grünen-Abgeordneten überbewertet, Frau Hermenau?

Wenn man im Restaurant Sassella an den Gästen vorbei und durch die Küche in den Keller ging, kam man zu einem weiteren Raum. Hier, am Bonner Karthäuserplatz, trafen sich ab 1995 junge Bundestagsabgeordnete der Parteien CDU und Grüne – die sogenannte Pizza Connection. Sie wird rituell als sensationeller „Tabubruch“ und „Geburtsstunde von Schwarz-Grün“ verklärt. In dieser Woche ist in Berlin die Fortsetzung angelaufen: Pizza Connection II.

Nun gibt es in der Realität im Bund nach wie vor keine schwarz-grüne Koalition, aber dafür hier, dort und überall die politischen, kulturellen und emotionalen Blockaden der 90er Jahre. Da muss man mit einer Beteiligten doch mal die Frage klären: Wird diese Pizza Connection nicht wahnsinnig überbewertet, Frau Hermenau?

Antje Hermenau kommt gerade vom Berliner ARD-Hauptstadtstudio in das Lokal um die Ecke. Sie ist Fraktionsvorsitzende der Grünen im Sächsischen Landtag, davor war sie von 1994 bis 2004 Bundestagsabgeordnete, Finanzexpertin.

Nö, sagt sie, die Pizza Connection sei nicht überbewertet, das seien „wichtige Lockerungsübungen“ gewesen. Richtig sei, dass es faktisch gesellige Abende waren und keine strategischen oder gar inhaltlichen Debatten.

Im Sassella stellten die Grünen (erstmals) fest, dass die von der Union auch Menschen waren. Und umgekehrt. „Wenn man den Hermann Gröhe später nach einer Wahl reden hörte, dann dachte man: Na ja, der Hermann. Gleich hört er ja auch wieder auf.“ Was Hermenau sagen will: Es gebe ein gewisses Grundverständnis dadurch, dass man den anderen kennengelernt hat.

Die jungen Unionspolitiker, tendenziell Liberale, kotzten über Kohl ab, die jungen Grünen – mehr Realos, aber auch Fundis – kotzten über Fischer ab. Sie überboten sich gegenseitig im Imitieren des jeweiligen „Dicken“ und „Alten“. Die Parteipromis wurden lagerübergreifend „alte Säcke“ genannt.

Die Unionspolitiker waren Leute, die Kohl abgehakt hatten und gleichzeitig wussten, dass sie mit Schäuble oder Koch nicht nach oben fahren würden, weil die bereits ihre Leute hatten. Sie scharten sich um Merkel. Gröhe, Altmaier, Pofalla, Röttgen, Klaeden, Laschet – zum Teil sind sie heute noch in Diensten und Gnaden der Kanzlerin. Die nominell erfolgreichsten Grünen gingen schneller verloren: Ministerin Andrea Fischer und Staatssekretär Matthias Berninger verließen die Bundespolitik. Oswald Metzger ist bis heute der einzige Pizzioso, der so inspiriert wurde, dass er zur anderen Partei wechselte. Antje Hermenau ging nach Dresden und führte die Grünen zurück in den Landtag.

Hermenau, Jahrgang 1964, als Arbeiterkind und ohne harmonische Kindheit im sozialistischen Leipzig aufgewachsen, ist eine alleinerziehende Mutter und eine klar sprechende, zur Selbstironie fähige und allem Anschein nach lebenslustige Frau. Typ: Ich krieg das hin. Anders als die westdeutschen Pizza-Freunde ist sie nicht geprägt vom Hass der 80er Jahre zwischen zwei bundesrepublikanischen Generationen, die unterschiedliche Werte- und Moralvorstellungen hatten – und der bis heute nachhallenden Folklore.

Die große kulturelle Differenz hat Hermenau damals nicht zur CDU erlebt, sondern zur SED, aus der die PDS wurde und dann die Linkspartei. 1989 waren auch viele spätere Wähler der CDU mit auf der Straße gegen die SED und ihr Regime. Heute gebe es einen anderen Umgang mit den jüngeren Mitgliedern der Linken, sagt sie. Nach 25 Jahren sei vieles verjährt, und auch in der CDU habe so manche Blockflöte überlebt.

Nichtsdestotrotz ist die Situation vor der Landtagswahl Ende August schwierig: Die SPD ist noch viel schwächer als im Bund, die Linke kommt in den letzten Umfragen nur noch auf 15 Prozent. Die alles dominierende eine Volkspartei ist die Union (letzte Wahl: 40, Umfragen 49), die derzeit noch mit der FDP regiert. Was streben Sie an, Frau Hermenau? „Ein starkes Ergebnis, um grüne Politik durchsetzen zu können. Wenn es die Wahlergebnisse zulassen, reden wir mit SPD, Linken und CDU über mögliche Schnittstellen. Wir wollen weder eine Alleinherrschaft der CDU noch eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition.“

Gibt es eigentlich eine sächsische Pizza-Connection?

„Nein. Im Parlament pflegen wir meist einen normalen Umgang. Das hat aber wenig daran geändert, dass die CDU eher selbstgefällig regiert, was abstoßend wirkt.“

Pizza Connection ist übrigens der Name eines Films über einen Verbrecherring, der Begriff wurde vom damaligen CSU-Generalsekretär geprägt, offenbar einem Skeptiker. Pizza gab es allerdings nie. Sondern ambitionierte Küche für kulinarisch Emanzipierte. Gutes Essen, guter Wein, gute Gespräche: „Es war eine Veranstaltung für Lebenslustige“, sagt Antje Hermenau.

Die linken Grünen blieben irgendwann zu Hause.

Peter Unfried ist taz-Chefreporter