BERNHARD CLASEN ÜBER DEN TEILRÜCKZUG DER OPPOSITION IN DER UKRAINE
: Tauwetter in Kiew

Mit der Räumung von fünf Regierungsgebäuden und der teilweisen Öffnung der Blockade im Zentrum von Kiew durch die Maidan-Aktivisten haben diese die Amnestie-Bedingungen der Regierung erfüllt. Erste Stellungnahmen von führenden Beamten der Stadtverwaltung, man werde niemanden wegen möglicher Schäden am Gebäude materiell oder strafrechtlich zur Verantwortung ziehen, zeigen, dass auch die Vertreter der Macht Kompromissbereitschaft zeigen. Der neue Frühling ist auch der Vermittlung der OSZE zu verdanken, die die besetzte Stadtverwaltung von den Demonstranten übernommen hatte, um sie dann anschließend an die Behörden zu übergeben.

Beide Seiten haben damit Raum für Verhandlungen geschaffen. Die bereitwillige Räumung der besetzten Gebäude und die Teilräumung der Barrikaden dürfte aber auch dem Tauwetter geschuldet sein. Bei Temperaturen von um die minus 20 Grad, wie sie noch Anfang Februar herrschten, waren diese besetzten Gebäude von existenzieller Bedeutung.

Niemand konnte bei diesen Temperaturen rund um die Uhr auf der Straße stehen oder in einem Zelt leben. Doch bei einigen Grad über null, wie sie in den nächsten Tagen erwartet werden, verlieren die besetzten Gebäude für die Opposition ihre Bedeutung als überlebenswichtige Rückzugs- und Aufwärmgebiete.

Doch das Wetter ist nicht nur ein Bündnispartner der Regierung. Mit höheren Temperaturen werden neben den zahlreichen amnestierten Aktivisten auch die Bürger von Kiew, die sich bisher aus Angst vor der Kälte nur selten auf den Maidan gewagt hatten, wieder auf den Unabhängigkeitsplatz kommen und dort auch länger bleiben.

Die Konstellationen verschieben sich, die Pattsituation bleibt.

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