BERND PICKERT ZUR AUSSETZUNG DER FRIEDENSGESPRÄCHE IN KOLUMBIEN
: Krise aus Versehen

An einem Ende der Verhandlungen haben die Guerillas der Farc keinerlei Interesse

Noch ist es recht mysteriös, was da am Sonntag eigentlich geschehen ist. Warum begibt sich ein hochrangiger General in Zivil und unter Umgehung aller Schutzbestimmungen auf eine Bootsreise ins Guerillagebiet? Und noch haben sich auch die mutmaßlichen Kidnapper der linken Farc-Guerilla nicht zu dem Vorfall geäußert.

Wenig spricht dafür, dass die Entführung, wenn es denn eine ist, von der Guerilla geplant war, erst recht nicht von der obersten Führung, die sich zu den Verhandlungen in Havanna aufhält. Zwar führen die Kriegsparteien seit zwei Jahren Verhandlungen, ohne einen Waffenstillstand vereinbart zu haben – Gefechte und kleine Offensiven beider Seiten gehören nach wie vor zum kolumbianischen Alltag. Doch gerade die Farc sind in den letzten Monaten sehr bedacht darauf gewesen, den Konflikt auf recht kleiner Flamme zu halten. An einem Ende der Verhandlungen haben sie keinerlei Interesse. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos, der in diesem Jahr in einem Quasireferendum zugunsten des Friedensprozesses wiedergewählt wurde, muss zusehen, das Militär an Bord zu behalten.

Den Uniformierten wird nicht zu Unrecht unterstellt, eher auf Seiten des erklärten Friedensgegners Alvaro Uribe zu stehen. Sie sehen überhaupt nicht ein, warum sie, die selbst erklärten Beschützer des Vaterlandes, plötzlich in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen mit der Guerilla auf eine Stufe gestellt werden.

Auch deshalb blieb Santos jetzt kaum etwas anderes übrig, als die Verhandlungen zum ersten Mal in den vergangenen zwei Jahren auszusetzen. Wenn das nicht zu einer handfesten Krise des Prozesses führen soll, muss der General so schnell wie möglich wieder freikommen, unversehrt und binnen weniger Tage.

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