Mehr Chancen für die Kleinen

Die Fünf-Prozent-Klausel bei Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein ist verfassungswidrig. Darüber freuen sich die kleinen Parteien im Land. Gesetz soll rasch geändert werden – im Mai wird gewählt

Bremerhaven war schon immer für eine Sonderrolle gut. So ist denkbar, dass dort die 5-Prozenthürde wieder ins Kommunalwahlrecht eingeführt wird, während sie im Rest der Republik fällt: Das empfiehlt die große Koalition der Stadtverordnetenversammlung (SVV) der Bremischen Bürgerschaft. Bis gestern schien das Ja der rot-grünen Landtags-Koalition sicher: Man werde das Mehrheitsvotum der SVV trotz Bedenken akzeptieren, hatte der Chef der Bürgerschafts-Grünen Matthias Güldner angekündigt. Gestern sagte er jedoch, dass der Richterspruch „in die Beratungen einfließen“ müsse. Möglich wäre die Wiedereinführung, weil das „zentrale Element“ (BVerfG) der Hürden-Rechtfertigung fortbesteht: Der Bürgermeister wird in Fisch-Town nicht direkt gewählt. Abgeschafft hatte man die Hürde im Dezember 2006.  BES

VON ESTHER GEISSLINGER

Aller Voraussicht nach fällt die Fünf-Prozent-Klausel in Schleswig-Holstein rechtzeitig vor der Kommunalwahl am 25. Mai. Am gestrigen Mittwoch entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass diese Hürde verfassungswidrig sei, und gab damit den Grünen Recht. Die hatten, unterstützt von den Linken, geklagt. Das Landeswahlgesetz werde zügig geändert, teilten die Vorsitzenden der Regierungsfraktionen, Johann Wadephul (CDU) und Ralf Stegner (SPD), unverzüglich mit: „Angesichts der hohen Bedeutung des Urteils sollten wir schnell und konsequent handeln.“

Die Verfassungsrichter erklärten, durch die Fünf-Prozent-Klausel gingen die Stimmen all jener Wähler verloren gingen, die kleineren Parteien bevorzugten – das sei eine Ungleichbehandlung. Dass durch eine Vielzahl kleiner Parteien Chaos ausbrechen würde, verneinten die Richter. In der Tat liegt in den Kommunen die Verwaltung durchweg in den Händen von Bürgermeistern und Landräten. Die Gemeinde- und Kreisparlamente stellen nur in geringem Umfang selbst Weichen. Auf Landes- und Bundesebene indes könnten Mini-Parteien die Arbeit wirklich erschweren.

Die kleinen Parteien begrüßten das Ergebnis – nicht nur in Schleswig-Holstein. „Der einzige Nutzen einer Sperrklausel besteht darin, dass die CDU und die SPD kleine Parteien von der Mitsprache fernhalten“, sagte der SSW-Vorsitzende Flemming Meyer. Die Partei der Dänen und Friesen fährt rund um Flensburg zweistellige Ergebnisse ein, könnte aber nun auch weiter im Süden Erfolg haben. „Eine schallende Ohrfeige“ sei das Ergebnis für die großen Parteien, sagte Karl-Martin Hentschel (Grüne), Die Linke hofft auf eine „lebendigere, demokratische Kultur“. Die FDP unterstellte den Großkoalitionären SPD und CDU gar einen „Mangel an demokratischem Verständnis“, weil sie die Klausel bisher verteidigt hatten.

Bedenken äußerten der Vorsitzende der kommunalpolitischen Vereinigung der CDU und der Lübecker Bürgermeister Bernd Saxe, der um die „Stabilität der Kommunalpolitik“ fürchtete. Ein Argument der Klausel-Befürworter ist, dass rechte Splittergruppen ohne sie eine Chance bekämen. Dazu sagte Hentschel: „Rechte ziehen ein, wenn sie im Ort bekannte Populisten aufstellen – die bekommen mehr als fünf Prozent.“ Er rechnete damit, dass sich Grüppchen bilden, die für ein bestimmtes Anliegen kämpfen und damit auch den Grünen Stimmen abjagen könnten. Aber, so Hentschel weiter: „Wir dürfen Demokratie nicht davon abhängig machen, ob sie einem passt.“

Das Urteil hat keine direkte Auswirkung auf andere Bundesländer: Die schleswig-holsteinischen Grünen durften nur deshalb nach Karlsruhe ziehen, weil das Land kein eigenes Verfassungsgericht hat.

In den meisten der gut 1.100 Gemeinden in Schleswig-Holstein wird sich durch das Urteil übrigens nichts ändern. Die 30 Kleinstgemeinden mit unter 70 Einwohnern entscheiden auf basisdemokratischen Gemeindeversammlungen. Die Mehrzahl der übrigen Ortschaften umfasst nur ein paar Hundert oder wenige Tausend Einwohner. Entsprechend stehen oft nur neun oder elf Stühle um den Tisch des Gemeinderats. Sind die besetzt, helfen Prozent-Grenzen wenig. In vielen Orten spielen Parteien kaum eine Rolle, stattdessen konkurrieren lokale Wählergemeinschaften, die sich durch die beteiligten Personen unterscheiden, nicht durch Programme. Erst ab etwa 10.000 Einwohnern sinkt diese natürliche Hürde unter die Fünf-Prozent-Grenze.

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