Spielsucht beim Bundesligaverein: Zocken für den FC St. Pauli

Der ehemalige FC St. Pauli-Spieler Andreas Biermann kritisiert den Verein per "Spiegel"-Interview. Am selben Tag folgt das Dementi - auf der Homepage des FC St. Pauli.

Spielte für St. Pauli nicht nur auf dem Platz: René Schnitzler (r.). Bild: Oliver Ruhnke

HAMBURG taz | Zwei Tage lang schien der FC St. Pauli ein Problem zu haben. Kein sportliches diesmal, eher ein moralisches. "Ex-Profi beschuldigt Management von St. Pauli", kündigte am Samstag Spiegel Onlineein Interview in der gedruckten Spiegel-Ausgabe vom Montag an, in dem der ehemalige St. Pauli-Spieler Andreas Biermann den Umgang des Fußball-Bundesligisten mit seinen glücksspielsüchtigen Fußballprofis kritisierte.

Erst wenige Tage zuvor hatte Biermanns ehemaliger Kollege René Schnitzler dem Stern gebeichtet, spielsüchtig zu sein. Um seine Schulden zu begleichen, habe er in seiner Zeit bei St. Pauli 100.000 Euro von einem niederländischen Wettpaten kassiert, um Partien zu "drehen" - was er freilich unterlassen habe. Eine dieser Partien sei in die Spielzeit 2007/2008 gefallen, vier weitere in die Spielzeit 2008/2009.

Im Spiegel-Interview gibt Biermann zu, ebenfalls an Spielsucht gelitten, sich aber später einer Therapie unterzogen zu haben. Glücksspiel sei im Profifußball weit verbreitet, und die Vereine seien daran nicht unschuldig. "Man darf aber auch nicht vergessen: Bwin-Poker war in der Saison 2008/2009 Sponsor von St. Pauli", sagt Biermann in dem Interview.

Sogar beim Training des FC St. Pauli sollen Geldeintreiber aufgetaucht sein, um René Schnitzler an seine Spielschulden zu erinnern, berichtet das Onlinemagazin Hochgepokert.de.

Um seine Casino-Sperre zu umgehen, sei Schnitzler unter falschen Namen aufgetreten: als "Herr Ludwig".

Sein Ex-Kollege beim FC St Pauli Alexander Ludwig soll ihm seinen Ausweis geliehen haben.

Alexander Ludwig, derzeit beim TSV 1860 München, lässt das dementieren: Er habe "mit der Sache nichts zu tun".

Das Geld vom Wettanbieter habe der Verein "gern genommen", regelmäßig seien Spieler auf die offiziellen Sponsorentermine zum Pokern geschickt worden, auch er und Schnitzler. "Da kann der Verein sich nicht aus der Verantwortung herausziehen und behaupten, man habe nichts gewusst."

In einer ersten Reaktion auf das Interview erklärte St. Paulis Pressechef Christian Bönig am Sonntag, er sei "traurig, entsetzt und wütend" darüber, dass Biermann dem Verein die Schuld zuweise. "Ja, wir wussten zwar, dass die Jungs pokern. Aber niemandem von uns war bewusst, dass ihre Spielsucht krankhaft ist und so weit geht."

Absichtlich habe er solche Spieler zu den Poker-Terminen des Sponsors geschickt, die damit Erfahrung hatten, sagt Bönig: "Es macht doch Sinn, die Spieler dorthin zu schicken, die sich auch damit auskennen. Pokern alleine ist ja noch keine Krankheit."

Ob der Fußballverein wirklich nichts von der Spielsucht seiner Profis mitbekommen hat, wird wohl nur schwer aufzuklären sein. Am gestrigen Montag veröffentlichte der FC. St. Pauli auf seiner Homepage eine "Klarstellung", in der Andreas Biermann sich "für die entstandenen Irritationen" entschuldigt. Er habe dem FC St. Pauli weder "Vorwürfe" gemacht, noch ihm eine "Mitverantwortung" zugeschrieben. Das Pokerspiel sei zwar ein Thema für die Spieler, was diese in ihrer Freizeit machten, könne der Verein jedoch nicht kontrollieren.

Biermann selbst und auch sein Spielerberater waren am gestrigen Montag nicht zu sprechen. Aus seinem Umfeld heißt es aber, dass er "den Druck nicht mehr ausgehalten" habe, der nach dem Spiegel-Interview aufgebaut worden sei. Dem Ex-Profi, der sich erst im Herbst als depressiv geoutet hatte, sei es nicht um eine Abrechnung mit dem FC St. Pauli gegangen, sondern um das Problem der Spielsucht im Profifußball.

Das Spiegel-Interview selbst hat Biermann nicht dementiert. Er hat nur den Verein aus der Verantwortung entlassen, in die er ihn zuvor genommen hatte. "Biermann ist von selbst an uns herangetreten", sagt Pressechef Bönig. Es scheint, als habe sich das Problem des FC St. Pauli von selbst erledigt. Es dauerte nur zwei Tage.

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