Der Stil des Gegenkandidaten: Lieber erst mal zuhören

Torsten Albig will SPD-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein werden und einen anderen Politikstil pflegen: Er setzt vor allem auf kleine Runden und Gespräche, um sich bekannt zu machen.

"Nachdenken im Dialog" ist seine Wahlkampfstrategie: SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig. Bild: dapd

KIEL taz | Torsten Albig hört zu. Eine Hand am Kinn, die Augen hinter der schmalen Brille auf sein Gegenüber gerichtet. Aufmerksam, zugewandt. Wie sehr ihn die Details des Notfallraums im Schleswiger Krankenhaus tatsächlich interessieren, ist unklar, aber er stellt Fragen, nickt, hört weiter zu. Später wird er Angehörigen der dänischen Minderheit zuhören, dann Beschäftigten einer Bäckerei. Einen Tag später sind es der Bürgermeister von St. Peter-Ording und Beschäftigte eines Baumarkts. Torsten Albig, so scheint es, will jedem Menschen in Schleswig-Holstein die Chance auf ein persönliches Treffen geben. Am 6. Mai sollen sie ihn dann zum Ministerpräsidenten machen.

Die Gespräche, die der Spitzenkandidat der SPD zurzeit landauf, landab führt, sind Teil seines Wahlkampfs – und sie finden unter Aufsicht statt: Zusammen mit der taz sind zwei Fernsehteams im Krankenhaus dabei und filmen, wie Albig einer Patientin Tee serviert. Jeden Tag reisen andere Medien mit und hören zu, wie Albig zuhört. Dass dies eine surreale Note hat, weiß der 48-jährige Jurist und Steuerfachmann, dennoch: „Es ist der Versuch, so viel Realität zuzulassen wie möglich.“

Erstmals Berufspolitiker?

Die Realität versus „Raumschiff Politik“ ist etwas, das Torsten Albig gern thematisiert – und betont, dass er immer versucht hat, Distanz zu wahren zum Polit-Betrieb. Als Ministerpräsident würde er „erstmals Berufspolitiker“ werden, meint er. Eine etwas überraschende These angesichts seines Lebenslaufs: Nach Tätigkeiten in der Landessteuerverwaltung in Schleswig-Holstein und in der Vertretung des Landes in Bonn holte der damalige SPD-Parteichef Oskar Lafontaine den gebürtigen Bremer 1996 in die Parteizentrale, wo er am rot-grünen Steuerkonzept mitschrieb. Er wurde Sprecher des Finanzministeriums, erst unter Lafontaine, dann unter Hans Eichel. Nach einem Ausflug in die Wirtschaft und einer Schleife nach Kiel – Albig wurde 2002 Kämmerer der Stadt – kam er erneut ins Finanzministerium. Gerufen hatte ihn Peer Steinbrück. 2009 trat er als Kieler Oberbürgermeister an und siegte.

Im Herbst 2010 kündigte Albig an, dass er Spitzenkandidat für die Landtagswahl werden wollte – und stellte sich gegen den starken Mann der Nord-SPD, Ralf Stegner. Der konterte mit dem Vorschlag, die Mitglieder entscheiden zu lassen. Seine Bekanntheit und seine manchmal scharfe Polemik halfen Stegner nicht: Der landespolitische Neuling gewann. Er habe nicht daran gezweifelt, sagte Albig damals.

Er ist durchaus selbstbewusst, der Mann mit der auffälligen Glatze. Hauptstadtjournalisten erlebten den damaligen Ministeriumssprecher teilweise als arrogant, in Schleswig-Holstein aber zeigte Albig sich schon im Kieler Bürgermeisterwahlkampf ruhig, besonnen, pragmatisch. Das Zuhören ist Konzept, ein Symbol für den anderen Politikstil, den er verkörpern will. „Nachdenken im Dialog“, nennt Albig das. Diese Haltung half, sich von Stegner abzugrenzen – das weiß Albig. Es falle ihm leichter als Stegner, Teil einer Runde zu werden: „Ich komme anders rüber als er.“

Inzwischen arbeiten die beiden zusammen, Freunde sind sie nicht. Parteichef Stegner bringt es fertig, seinen Spitzenkandidaten quälend lange auf einer Bühne neben sich herumstehen zu lassen – so wie beim Neujahrsempfang im Januar – und meldet sich weiter zu bundespolitischen Fragen zu Wort, statt der Nummer eins den Glanz zu gönnen.

Vielleicht hält Albig es aber nicht für nötig, dabei mitzuspielen. Es klingt fast herablassend, wenn er über Stegners Angewohnheit spricht, sich per Twitter zu äußern: „Er hat Momente, in denen sein Herz überquillt, er nützt sein Handy, um dieses Überquellen zu zeigen.“ Und in 140 Zeichen gepresst werde eine Botschaft, die in längerer Form normal sei, leicht zum Skandal.

„Präzise Antworten“

Im Wahlkampf gibt es Kritik an Albig: Er sei unkonkret, seine Äußerungen widersprüchlich, das Wahlprogramm zu dünn. Auch die Grünen, potenzielle Koalitionspartner, sahen einige Wahlversprechen mit Unbehagen. Sollte ein Spitzenkandidat nicht allmählich aufhören zuzuhören und anfangen zu reden? Albig weist die Vorwürfe zurück: „Unsere Antworten sind präzise.“ Das Programm stelle „Leitplanken“ auf. Und wirtschaften in den Zeiten der Schuldenbremse könne die SPD, könne er selbst besser als „Menschen, die nie einen Haushaltsplan aufgestellt haben“ – ein Angriff auf den CDU-Spitzenkandidaten Jost de Jager, immerhin Wirtschaftsminister des Landes.

Albig nennt als Stärke, dass er alle föderalen Ebenen, Stadt, Land und Bund, kenne. Ihn ärgert der Aufstieg der Piraten, die seiner Meinung nach von der „diffusen Ablehnung etablierter Politik“ profitieren. Dabei sei die Politik gar nicht intransparent, gerade „da, wo sie anfängt“, in den Gemeinderäten. Doch zu deren Sitzungen käme kaum jemand. Dabei wäre Torsten Albig sicher bereit, dort zuzuhören.

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