Warum ein NS-Kriegsverbrecher unbehelligt bei Stade lebt
: „Große Grausamkeit“

Längst schuldig gesprochen ist Alfred L. – in Italien. Am 6. Juli 2011 verurteilte das Militärgericht in Verona den ehemaligen Angehörigen der Fallschirm-Panzer-Division „Herman Göring“ zu zweimal lebenslanger Haft und Entschädigungszahlungen – in Abwesenheit. In Deutschland ist ein Verfahren gegen L., der unweit von Stade lebt, noch nicht geschlossen, sagt Andreas Brendel, Leiter der Zentralstelle für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen in Dortmund.

Die Dortmunder hatten dem italienischen Tribunal zugearbeitet. Nach 41 Verhandlungstagen sah das Militärgericht es als erwiesen an, dass der heute 87-Jährige L. 1944 beteiligt war an Massakern von „großer Grausamkeit“ an rund 400 Zivilisten. „Er handelte als Befehlsempfänger in ständigem Rapport mit dem Kommandanten“, heißt es in dem Urteil, „und hat effektiv dazu beigetragen, die Befehlskette einzuhalten“.

Im Frühjahr 1944 griff die Einheit „Herman Göring“ mehrere Bergdörfer an. Am 18. März tötete die Einheit 139 Menschen – auch Hochschwangere, Jugendliche und Kinder. Überlebende berichteten, dass die Soldaten während der Erschießungen ein erbeutetes Grammofon Musik spielen ließen.

Im Urteil beruft sich das Tribunal auf einen Tagebucheintrag vom 18. April 1944: Darin ist von Einsätzen gegen „Banden“ die Rede und von blutiger Rache. Zudem soll L. gegenüber einem Vorgesetzten gesagt haben: „Wir haben Frauen und Kinder erschossen.“

In Deutschland reichten diese Fakten nicht zur Verurteilung. „Eine direkte Tatbeteiligung muss erwiesen sein“, sagt Andreas Brendel, der neue Erkenntnisse im italienischen Berufungsverfahren nicht ausschließt.

Überlebende der Massaker von 1944 und Angehörige kommen in dem Film „Die Geige von Cervarolo“ zu Wort, der am kommenden Sonntag in Hamburg zu sehen ist (17 Uhr, Metropolis-Kino, Kleine Theaterstraße 10).

ANDREAS SPEIT■ arbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland